Das Gottesmahl
gefährden. Er ist zu sehr auf
den von OMNIPATER genannten Termin fixiert. Gestern sind wir in eine
neue Zeitzone übergewechselt, und er hat die Uhr nur mit dem
größten Widerwillen vorgestellt…
Er tippte die Mitteilungen auf seiner Smith-Corona –
derselben Maschine, auf der er Die Mechanik der Gnade geschrieben hatte – und brachte sie ins Steuerhaus.
Der Navigator hatte Wache. Auf den ersten Blick hatte Thomas in
Joe Spicer den intelligentesten aller Offiziere der Valparaíso erkannt (van Horne nicht ausgenommen).
Jedenfalls nahm er als einziger Bücher auf die Brücke mit,
richtige Bücher, keine Romane über telekinetische Kinder
oder Taschenbücher voller Katzen-Cartoons.
»Guten Tag, Mr. Spicer.«
»Hallo, Pater.« Der hochaufgeschossene Offizier drehte
seinen Sitz um neunzig Grad und streckte Thomas ein Exemplar von
Stephen Hawkings Kurze Geschichte der Zeit entgegen.
»Haben Sie das gelesen?«
»Zweimal«, sagte Thomas, schaute beunruhigt den
diensthabenden Seemann an, einen muskulösen Protestanten mit
Namen Leo Zook. Am Vortag hatte er mit ihm einen kurzen,
unbefriedigenden Wortwechsel über Charles Darwin gehabt; dabei
hatte sich Zook gegen die Evolution geäußert, Thomas
hingegen auf ihre grundsätzliche Glaubhaftigkeit verwiesen.
»Wenn ich diese Schrift richtig verstanden habe«, meinte
Spicer, trommelte mit den Fingern auf dem Buch Kurze Geschichte
der Zeit, »ist Gott heute Arbeitsloser.«
»Kann sein«, gab Thomas zur Antwort.
»Reden Sie keinen Stuß«, knurrte Zook.
»Feiern Sie heute die Messe?« wollte Spicer
erfahren.
»Um fünfzehn Uhr«, sagte Thomas.
»Ich komme.«
Gut, dachte der Priester. Du kommst, Follingsbee kommt, Schwester
Miriam, Karl Jaworski und An-mei Jong. Sonst niemand. Die kleinste
Gemeinde diesseits des Anfangsmeridians.
Als Thomas sich anschickte, die Funkstube zu betreten, prallte er
beinahe mit Lianne Bliss zusammen. Wilden Blicks sprang sie zum
Zweiten Offizier, drehte ihn mitsamt seinem Sitz, als wäre sie
eine Friseuse, die ihrer Kundin den Spiegel hält.
»Joe, rufen Sie den Boss!«
»Weshalb?«
»SOS!«
Spicer ergriff das Mikrofon der Sprechanlage, und drei Minuten
später stand Anthony van Horne auf der Brücke und
hörte, daß sich angeblich eine Beatrice-Überlebende
namens Cassie Fowler mit einem Schlauchboot auf St. Paul’s Rocks
gerettet hatte.
»Könnte eine Falle sein«, mutmaßte van Horne.
»Sie haben hoffentlich nicht mit ihr gesprochen.«
»Eine Falle?« wiederholte Bliss.
»Sie haben die Funkstille nicht gebrochen, oder?«
»Nein. Natürlich hätte ich ihr gerne sofort
Bescheid gegeben…«
Van Horne stellte sich ans Zwölfmeilenradar und betrachtete
mit geballter Aufmerksamkeit das Radarecho: allem Anschein nach einen
Schwarm Tölpel. »Gehen Sie ans Gerät,
Öhrchen«, befahl er. »Melden Sie sich als Arco
Fairbanks mit Kurs auf die Südzone der Kanarischen Inseln.
Nennen Sie allen, mit denen Sie Kontakt erhalten, Fowlers Koordinaten
– dreißig Grad westlicher Breite, null Grad
nördlicher Länge.«
»Darf ich sie verständigen, Sir?« fragte Bliss,
indem sie Anstalten machte, in die Funkstube umzukehren.
Mit dem Zeigefinger strich van Horne um den Rand des Radarschirms,
umkreiste mit der Hand den Vogelschwarm. »Sagen Sie ihr, es ist
Hilfe unterwegs. Sonst nichts.«
»Ist es erforderlich zu lügen, Kapitän?«
fragte Thomas.
»Jeder Befehl, den ich erteilte, ist erforderlich«,
behauptete van Horne. »Andernfalls gäbe ich ihn gar
nicht.«
Vierzig Minuten später kam Bliss wieder auf die Brücke
und meldete den Stand der Dinge. Anscheinend war die Valparaíso im Umkreis von dreihundert Seemeilen rings
um St. Paul’s Rocks das einzige Schiff. Bliss hatte mit einem
Dutzend Häfen zwischen Trinidad und Rio Funkverbindung gehabt,
von doch von den wenigen Offizieren der Küstenwache und
Mitarbeitern des Roten Kreuzes, die ihren wüsten Mischmasch aus
Englisch, Spanisch und Portugiesisch zu verstehen imstande gewesen
waren, verfügte niemand über ein Flugzeug oder einen
Hubschrauber mit genügend Tankkapazität, um über den
halben Atlantik und zurück zu fliegen.
»Was hat Fowler gesagt, als Sie mit ihr gesprochen
haben?« erkundigte sich Thomas.
»Sie wollte wissen, ob ich ein Engel bin«, lautete
Bliss’ Auskunft.
»Was haben Sie darauf geantwortet?«
Bliss warf van Horne einen bitterbösen Blick zu.
»Daß ich keine Befugnis habe, ihr Erklärungen
abzugeben.«
Spicer klatschte die Kurze Geschichte der Zeit auf
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