Das Gottesmahl

den
Kapitänssessel, eilte zum Manöverpult und schaltete die
Automatiksteuerung ab. »Zwo-sieben-drei, ja?«
    »Nein«, erwiderte van Horne. »Wir halten
Kurs.«
    »Wir halten?« vergewisserte sich Zook, die Hand am
Steuerrad.
    »Das ist doch wohl ’n Scherz«, vermutete
Spicer.
    »Ich kann keine vierundzwanzig Stunden vergeuden, Joe. Soviel
Fahrtzeit haben wir durch Beatrice gewonnen. Von nun an bewahren wir
wieder Funkstille.«
    »Kann der schietige Teer nicht warten?«
    »Nein, kann er nicht.«
    Thomas’ Backenzähne bissen aufs weiche, rosige
Innenfleisch der Wangen. Noch nie hatte er sich einer so schwierigen
Entscheidung gegenübergesehen. Führte der Kurs eines
Christen nun westwärts, am Äquator entlang, oder
ostwärts nach Sao Tome? Wie viele Hirnzellen Gottes war ein
Menschenleben wert? Eine Million? Tausend? Zwei? Seine Skepsis in
bezug auf die von OMNIPATER gestellte Prognose erleichterte ihn den
Entschluß nicht im geringsten. Selbst wenn sich nur eine
göttliche Neurone retten ließ, mochte sie bedeutungsvoller
als sämtliche Schiffbrüchigen seit Jonas sein.
    »Kapitän van Horne«, sagte der Priester, »ich
möchte, daß Sie wenden.«
    Der Kapitän nahm das Brückenfernglas an sich und
schnaufte verärgert: »Was?«
    »Sie haben richtig gehört. Wenden Sie das Schiff. Wenden
Sie die Valparaíso und nehmen Sie Kurs auf Saint
Paul’s Rocks.«
    »Thomas, anscheinend haben Sie vergessen, wer Kommandant
dieses Schiffs ist.«
    »Und Sie übersehen anscheinend, wer bezahlt. Bilden Sie
sich nicht ein, Sie seien nicht austauschbar, Kapitän van Horne.
Wenn der Kardinal erfährt, daß Sie eine offensichtliche
moralische Pflicht mißachten, wird er nicht zögern, einen
neuen Kapitän einfliegen zu lassen.«
    »Vielleicht sollten wir uns in meiner Kabine darüber
unterhalten.«
    »Vielleicht sollten wir das Schiff wenden.«
    Van Horne hob das Fernglas an die Augen, drehte es um und musterte
Thomas durchs verkehrte Ende, als er könnte er, indem er die
Größte des Geistlichen verringerte, auch seine
Autorität mindern.
    »Mr. Spicer…«
    »Sir?«
    »Ich befehle, daß Sie einen neuen Kurs
errechnen.«
    »Ziel, Sir?«
    Van Horne schob das Fernglas in den Segeltuchbehälter.
»Zu dem Haufen Vogelkot mitten im Atlantik.«
    »Gut«, sagte Thomas, tatschte die Meerjungfrau auf dem
Arm des Kapitäns. »Taten der Barmherzigkeit sind der
einzige Nachruf, den Gott sich wünscht.«

 

     
    Als Cassie Fowler erwachte, schockierte sie weniger die
Entdeckung, daß ein Jenseits existierte, als die Erkenntnis,
daß ausgerechnet sie ins Ewige Leben Eingang gefunden hatte.
Ihr gesamtes Erwachsenendasein, in dem sie Jahr um Jahr Gott
gelästert und die Aufklärung hochgejubelt hatte, erwies
sich im Rückblick als vertan. Ihr war das Heil zugefallen, sie
war erlöst worden, verewigt. Die Situation sprach sehr gegen
sie, aber noch stärker gegen die Ewigkeit. Welches Himmelreich,
das etwas auf sich hielt, gab sich mit einer dermaßen
entschiedenen Leugnerin wie ihr ab?
    Naturgemäß hatte es ein frommes Ambiente. An der Wand
gegenüber hing blutbekleckert ein kleiner Keramik-Christus mit
blauen Glotzern und kirschroten Lippen. Neben Cassies Kissen lauerte
ein hochgewachsener, verhärmter, grobknochiger Pfaffe. Am
Fußende des Betts lungerte ein Bärtiger, dessen
miesepetrige Miene und runzlige Haut an sämtliche Propheten des
Alten Testaments erinnerte, denen Cassie je zu mißtrauen
gelernt hatte.
    »Sie sehen schon viel besser aus.« Der Geistliche senkte
die Hand auf ihre versengte Wange. »Leider ist kein Arzt an
Bord, Miss Fowler, aber der Erste Offizier ist der Auffassung,
daß Sie an nichts Schlimmerem als Erschöpfung,
Wassermangel und einem schweren Sonnenbrand leiden. Wir haben Sie mit
Noxzema eingerieben.«
    Nach und nach, so wie sich im Mund eines Kinds Zuckerwatte
auflöst, wich der Nebel aus Cassies Bewußtsein. An
Bord, hatte er gesagt. Und: Erster Offizier.
    »Bin ich auf einem Schiff?«
    Der Priester deutete auf den Propheten. »Auf der Valparaíso unter dem Kommando Kapitän Anthony van
Hornes. Nennen Sie mich Pater Thomas.«
    Erinnerungen kamen. Maritim-Abenteuerreisen… Beagle
II… Hurrikan Beatrice… St. Paul’s Rocks…
»Die berüchtigte Valparaíso? Die Valparaíso, die das Öl vergossen hat?«
    »Die Karpag Valparaíso«, konstatierte der
Kapitän trockenen Tons.
    Der Geruch medizinischen Kampfers drang in Cassies Nase. Schmerz
zuckte durch ihre Schultern und Oberschenkel: Die rote, in