Das Grab des Herkules
erschlafften, konnte Chase sich aufsetzen. Seine Nase pochte. Gebrochen war sie nicht – wie sich das anfühlte, wusste er ganz genau –, doch das Nasenbein war anscheinend gesplittert und würde noch eine ganze Weile schmerzen.
Doch wenn er nicht bald ausstieg, wäre eine schmerzende Nase bald seine kleinste Sorge. In weniger als dreißig Sekunden würden die Verfolger aufgeholt haben …
Eilig packte Chase seine Waffe und kletterte aus dem demolierten Mercedes. Das in Weiß gehaltene Innere der Seilbahnstation war karg und funktional, der einzige Farbtupfer war der rote Blutfleck an der Wand, den Eduardo hinterlassen hatte. Von Sophia – oder der Bombe – war weit und breit nichts zu sehen, allerdings führte eine Treppe nach oben.
Chase eilte die Stufen hoch und gelangte in einen großen, zugigen Raum, der an der einen Seite nach außen hin offen war – er befand sich am Wendepunkt der Seilbahn. Die Kabinen der Gondelbahn wurden jeweils vom Tragseil abgekoppelt, wenn die Passagiere ein- und aussteigen wollten, während die anderen Gondeln weiterfuhren. Zwei kastenförmige Gondeln warteten darauf, wieder ans Seil gekoppelt zu werden.
Eine dritte hatte sich soeben in Bewegung gesetzt. An deren Fenster stand Sophia. Sie lächelte Chase zu und winkte, als die Gondel aus der Station in die mondhelle Nacht hinausglitt.
Chase hob die Waffe und zielte auf ihren Kopf.
Sie rührte sich nicht – und er ebenso wenig. Er brachte es nicht über sich abzudrücken. Was immer sie getan hatte, was immer sie vorhatte, sie war einmal seine Geliebte gewesen, seine Frau … »Scheiße!«, knurrte Chase zornig – auf sich selbst und auf sie.
Die Gondel stieg höher. Mittlerweile war Sophia nur noch eine Silhouette am Fenster. Das Schwirren des Seils war trotz des Rumpelns der Antriebsmaschine deutlich zu hören.
Der SUV hielt mit quietschenden Bremsen vor dem Gebäude. Chase sprang in die erste wartende Gondel und sah sich um. Neben dem Vorderfenster war ein Tastenfeld angebracht. Der Startknopf war rot markiert.
Er drückte darauf.
Ketten und Zahnräder klirrten. Die Gondel wanderte schwankend um das große horizontale Rad am Ende des Tragseils herum, dann koppelte sie sich mit einem Ruck wieder ans Seil. Die Sperrklinken schnappten ein, und schon begann die Gondel ihren Aufstieg.
Sophias Kabine hatte einen Vorsprung von dreißig Metern, schätzte Chase. Sie würden die obere Station im Zwanzigsekundenabstand erreichen – was bedeutete, dass Sophia vor seinem Eintreffen nicht einmal aussteigen, geschweige denn die Bombe umladen konnte.
Sie blickte sich zu Chase um. Er erwiderte ihr Winken wesentlich unfreundlicher. Sophia neigte den Kopf; damit drückte sie ihren Unwillen aus. Dann hob sie die Hand und zeigte auf seine Gondel.
Oder vielmehr zeigte sie hinter die Gondel.
Chase stürzte ans Rückfenster. Soeben hatte sich eine weitere Gondel an das Seil angeklinkt. Mit drei Wachmännern an Bord, allesamt bewaffnet. Und das nicht nur mit Handfeuerwaffen: Sie hatten Karabiner vom Typ Steyr AUG A3 dabei – und öffneten bereits die Kabinenfenster, um auf ihn zu feuern und seine Gondel in Schweizer Käse zu verwandeln!
Chase spürte am Gewicht seiner Pistole, dass er nur noch einen Schuss hatte. Die Handgranate lag schwer und kalt in seiner Jackentasche, doch selbst wenn es ihm gelänge, sie durch das offene Gondelfenster zu schleudern, würde den Männern immer noch Zeit genug bleiben, ihn abzuknallen.
Er blickte nach vorn. Seine Gondel hatte ein Viertel des Weges zurückgelegt und stieg rasch höher. In höchstens zwei Minuten würde sie die Station erreichen.
Ob es ihm gelingen würde, so lange zu überleben, war jedoch eine ganz andere Frage …
Die Gondel bot zwölf Personen Platz. An den Wänden waren Polstersitze angebracht, und unter der Bank vor dem Heckfenster war die Rettungsausrüstung verstaut.
Um dem Gegner das Zielen zu erschweren, zertrümmerte Chase die Deckenbeleuchtung mit dem Pistolenkolben, dann riss er das Polster der hinteren Sitzbank ab, schob es vor die Vorderseite der Rettungsbox und warf sich daneben auf den Boden.
In diesem Moment barsten die Heckfenster unter dem Kugelhagel der auf Automatikmodus eingestellten AUGs. Das Tack-tack-tack der Kugeln, die die Stahlwand durchlöcherten, hörte sich an, als ginge ein Graupelschauer auf ihn nieder.
»Herrgott noch mal!«, rief Chase und schützte sein Gesicht mit den Armen vor herabregnenden Glasscherben. Die Notausrüstung unter
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