Das Grab des Herkules
unerwünscht bist«, sagte sie höhnisch.
»Wo ist die Bombe, Sophia?«, fragte Chase geschäftsmäßig.
»In der Gondel.« Sie lächelte schwach. »Für mich ist sie allerdings ein bisschen zu schwer. Würdest du sie mir ausladen?«
»Halt’s Maul!« Seine rüde Äußerung verblüffte Sophia. Augenblicklich verflüchtigte sich ihr Trotz, als sie merkte, dass es ihm todernst war. Mit vorgehaltener Waffe ging Chase zur Gondel und blickte hinein. Die Bombe stand in der Mitte der Kabine.
Erst jetzt konnte er sie genauer in Augenschein nehmen. Ein stumpfer Kegel aus glänzendem Stahl war die Basis, und aus einer Öffnung in der Mitte führten drei Metallstreben zu einer gedrungenen, überhängenden Kappe hoch, die ebenfalls aus poliertem Stahl gefertigt war. Scharf gemacht wurde sie offenbar in einem Schlitz in der Basis, der gegenwärtig allerdings leer war. Die knapp ein Meter hohe Bombe sah aus, als wöge sie mindestens fünfzig Kilo – wegen des Urankerns war sie vermutlich aber noch wesentlich schwerer.
Die Bauweise war ungewöhnlich, doch Chase wusste gut genug über Atomwaffen Bescheid, um auf den Typ schließen zu können. Diese Bombe beruhte auf dem so genannten Kanonenprinzip, der einfachsten Art, einen atomaren Sprengkörper herzustellen – allerdings war er auch am leichtesten zu bauen, zu transportieren und zu warten. Andere Atombomben-Typen waren Präzisionsinstrumente, die mit minimalen Toleranzen gefertigt und darauf angewiesen waren, dass alle Komponenten in der vorgegebenen Reihenfolge auf die Mikrosekunde genau funktionierten.
Kanonenbomben wie die in seiner Hand hingegen waren primitive Waffen, bei denen es eher um rohe Gewalt ging: Man nehme zwei Teile angereichertes Uran-235 von einer bestimmten Gesamtmasse. Dann presse man sie fest zusammen. Wenn die kritische Masse erreicht ist, kommt es zur Kettenreaktion und zur Explosion. Die Bezeichnung stammte von der ersten Bombe dieser Art, die auf Hiroshima abgeworfen worden war; dabei handelte es sich um ein abgeschnittenes Kanonenrohr, in dem ein Stück Uran auf ein größeres Stück am anderen Ende des Rohrs abgefeuert worden war.
Yuens Bombe war kleiner und technisch avancierter als ihre historische Vorgängerin, doch das Prinzip war das gleiche. Chase vermutete, dass die Zündmasse in der Basis untergebracht war – eine Sprengladung würde sie wie eine Gewehrkugel an den Führungsschienen entlang auf die in der Stahlkappe untergebrachte Uranladung katapultieren. Simpel, primitiv … aber wirkungsvoll.
Und vor allem tödlich. Wenn Yuen nicht übertrieben hatte, dann verfügte die Bombe über eine Sprengkraft von fünfzehn Kilotonnen – somit hätte sie eine etwas höhere Sprengkraft als die Hiroshima-Bombe und wäre imstande, das Zentrum jeder beliebigen Stadt dem Erdboden gleichzumachen und einen Feuersturm zu entfachen, der kilometerweit im Umkreis sämtliche Gebäude zerstören würde, vom radioaktiven Fallout ganz zu schweigen.
Instinktiv blickte er sich nach Sophia um. »Was hast du mit der Bombe vor, Sophia?«, rief er aufgeregt.
Sie kniff die Augen zusammen. »Der Trockner hat meinen Prada-Rock ruiniert, da wollte ich meinem Missfallen Ausdruck verleihen.«
Er trat vor sie hin und hielt ihr die Waffe an die Stirn. »Red schon!«
»Du wirst mir nicht wehtun«, erwiderte sie leise. Chase starrte sie einfach nur an. Die Pistole rührte sich keinen Millimeter. Unsicherheit zeigte sich in Sophias Blick. »Eddie …«
»Das ist Vergangenheit, Sophia«, sagte Chase. »Gib mir dein Handy. Ich werde die Behörden verständigen, und dann …«
Weiter kam er nicht. Die Waffe wurde ihm aus der Hand geschlagen und flog durch die Luft. Im nächsten Moment erreichte sie der Überschallknall des Gewehrs, das außerhalb der Station abgefeuert worden war.
Chase fasste sich an die Hand und hielt Ausschau nach dem Schützen. Draußen war jedoch kein Mensch zu sehen, nur der Staudamm, der das Tal abschloss. Er rollte sich ab, um dem Gegner das Zielen zu erschweren, und hechtete zur am Boden liegenden Pistole.
Noch ehe er sie erreicht hatte, stellte Chase jedoch fest, dass es keinen Sinn hatte. Unmittelbar über dem Abzug war die Steyr-Pistole durchlöchert, die Verbindung zum Hammer war zerstört und die Waffe damit komplett nutzlos. Der unsichtbare Gegner hatte entweder einen Glückstreffer erzielt – oder aber er war ein unglaublich guter Schütze.
Chase änderte seine Taktik. Er war unbewaffnet – und in der ganzen Station gab es
Weitere Kostenlose Bücher