Das Grab des Herkules
einfach lässig nach draußen schlendern kommt jetzt nicht mehr in Frage. Gibt es hier noch andere Ausgänge?«, sagte Chase.
Sophia schüttelte den Kopf. »Nur den Lift und die Treppe. Wir könnten zum Helipad hochgehen und Richards Helikopter nehmen.«
»Kannst du das Ding fliegen?«
»Nein.«
»Ich auch nicht.«
Sie wirkte enttäuscht. »Ich dachte, du könntest das!«
»Ich lerne immer noch dazu!«, fauchte Chase, mittlerweile panisch.
Die Wachleute bewegten sich aus dem Erfassungsbereich der Kamera hinaus; er hörte, wie die Tür am anderen Ende der Suite geöffnet wurde.
»Du bist die Frau vom Boss. Auf dich werden sie nicht schießen.«
»Womöglich doch! Was ist, wenn sie wissen, dass ich dir geholfen habe, aus der Oper zu entkommen?«
»Glaub mir, wenn sie dich in diesem Aufzug sehen, geht ihnen alles Mögliche ab, aber bestimmt nicht die Waffe. Verschaff mir eine kleine Atempause. Los!« Ohne eine Antwort abzuwarten, rannte er geduckt in den angrenzenden Raum.
»Lady Sophia!«, rief jemand von draußen. »Wir wissen, dass Sie da drin sind. Bitte kommen Sie heraus – Mr. Yuen hat uns gebeten, Sie zu ihm zu bringen.«
Sophia trat auf den Flur, ging um eines der baumelnden Kunstwerke herum und sah die vier Wachleute mit gezückten Waffen. Wenigstens zielten sie nicht auf sie. Sophia näherte sich den Männern mit aufreizendem Gang, setzte einen Stöckelschuh vor den anderen und wackelte unter dem engen roten Seidenkleid mit den Hüften. Drei der Wachleute ließen sich dadurch ablenken.
Der vierte war professioneller und spähte misstrauisch in die anderen Räume. »Wo ist der Mann?«
»Welcher Mann?«
»Sie sind in Begleitung hergekommen. Wo steckt er?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Sophia mit Unschuldsmiene. Das entsprach sogar der Wahrheit; sie hatte Chase tatsächlich aus den Augen verloren.
Der Wachmann zwängte sich an der Installation vorbei und näherte sich ihr. Die anderen drei Männer folgten ihm in ein paar Schritten Abstand an der anderen Seite der von der Decke baumelnden Installation entlang. »Wir möchten Ihnen nicht wehtun, aber Mr. Yuen hat gesagt, wir sollen notfalls Gewalt anwenden, wenn Sie nicht freiwillig mitkommen. Wo ist also der …«
Ein Geräusch von der anderen Seite ließ sie herumfahren: Chase war von einem Tisch abgesprungen und schoss beinahe in Deckenhöhe aus einem Nebenraum hervor. Mit ausgestreckten Armen packte er den Halter, an dem das Kunstwerk befestigt war, und trat gegen eine Metallplatte.
Dröhnend wie ein Gong schwang diese mit voller Wucht nach oben und fegte zwei der Wachleute von den Beinen. Der eine prallte gegen eine weitere Metallplatte und riss sie aus der Befestigung. Sie krachte auf den Boden, kippte um und begrub ihn unter sich. Der andere Mann prallte mit solcher Wucht gegen die Wand, dass er beinahe hindurchgebrochen wäre; er blieb jedoch reglos in der Fasergipsplatte stecken, die unter der teuren Tapete verborgen war.
Chase ließ sich auf den Boden fallen und rollte sich ab, um der zurückschwingenden Platte auszuweichen. Dadurch geriet er in die Nähe eines weiteren verdutzten Wachmanns und schlang ihm die Beine um die Knie. Japsend fiel der Mann auf den Rücken. Flink warf Chase sich auf ihn und rammte ihm die Faust wie einen Holzhammer ins Gesicht.
Der Mann erschlaffte auf der Stelle.
Sophia sah, wie der verbliebene Wachmann mit seiner Pistole auf Chase zielte. Darauf zog sie ihr Kleid an der Vorderseite auseinander und trat dem Mann zwischen die Beine. Der schwere Plateauzeh ihres Schuhs bohrte sich in seinen Schritt. Mit einem winselnden Laut und schmerzverzerrtem Gesicht brach er zusammen und nahm Embryonalhaltung ein.
»Wie ich sehe, kannst du noch immer gut auf dich selber aufpassen«, meinte Chase und kickte die Waffen der anderen Wachleute weg.
Sophia hob die Pistole des schluchzenden Mannes auf, der vor ihren Füßen lag. »Shanghai ist eine harte Stadt.«
»Komm.« Chase fasste sie bei der Hand und zog sie zum Lift. Sie folgte ihm, trotz der hohen Absätze in perfekter Haltung.
Kaum hatten sie die Lobby betreten, als eine Alarmglocke gellte und rote Warnlampen aufblitzten. Auf dem Aufzugdisplay blinkten chinesische Schriftzeichen.
»Der Lift ist gesperrt!«, keuchte Sophia.
»Die kommen bestimmt schon die Treppe hoch«, sagte Chase grimmig und sah sich um.
Der Weg zum Ausgang war ihnen versperrt, und die einzige Fluchtroute führte zu einem Hubschrauber, den er nicht fliegen konnte …
Er machte kehrt
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