Das Grab des Herkules
und eilte in die Bürosuite zurück. »Da können wir nicht raus!«, protestierte Sophia.
»Selbst ist der Mann.« Er blieb vor einer der herabgefallenen Metallplatten stehen. Das eine Ende hatte sich beim Aufprall auf dem Boden verbogen. Chase blickte durch den Flur in Yuens Büro und fixierte die geschwungenen Fenster mit skeptischem Blick …
»Gib mir deine Hand!«, sagte er nach kurzer Überlegung, packte die Metallplatte an einer Ecke und schleifte sie über den Boden. Sophia gehorchte verwirrt.
Der Wachmann, den sie getreten hatte, zeigte erste Anzeichen der Erholung. Sophia rammte ihm erneut ihren Absatz zwischen die Beine. Daraufhin krümmte er sich noch stärker zusammen, Tränen strömten ihm übers Gesicht.
»Hör auf, dich zu vergnügen«, sagte Chase und bedeutete ihr, die Platte mit ins Büro ziehen zu helfen. »Und zieh die verdammten Schuhe aus!«
»Was hast du vor?«, fragte Sophia, löste jedoch gehorsam die Riemchen und kickte die Stöckelschuhe weg. »Hier gibt es keinen Ausgang!«
Chase nahm ihr die Waffe ab und feuerte mehrere Schüsse auf das Fenster ab, dessen Scheibe barst. »Jetzt schon!«
»Was hast du …« Sie begriff. Fassungslosigkeit spiegelte sich in ihrer Miene wieder, gefolgt von kreatürlicher Angst. »O mein Gott! Bist du wahnsinnig ?«
»So wird allgemein behauptet.« Er zerrte die Metallplatte zum Fenster. Ein kalter Wind wehte durch die schartige Höhlung. Sophia rührte sich nicht von der Stelle.
»Wir – wir können zum Helipad hochgehen! Du könntest so tun, als hättest du mich als Geisel genommen, und einen Piloten verlangen …«
»Sie wissen, dass ich dich retten und nicht kidnappen will!« Chase lehnte sich aus dem Fenster und blickte in die Tiefe. Die Neigung der Fassade betrug hier oben mindestens siebzig Grad, doch die Gebäudefront wurde allmählich flacher und ging am Boden fast in die Horizontale über …
Sophia starrte ihn entgeistert an. »Eddie, wir werden dabei sterben !«
Er ließ die Platte so fallen, dass die gebogene Vorderseite über den Rand des Fensters hinausragte, dann streckte er die Hand aus. »Habe ich dich jemals sterben lassen?«
»Nein, aber …«
»Und das hab ich auch jetzt nicht vor.« Er reichte ihr erneut die Hand, fordernder diesmal. »Vertrau mir.«
Nach kurzem Zögern ergriff Sophia seine Hand.
Chase zog sie an sich. »Okay, halt dich einfach an mir fest und lass auf keinen Fall los, egal, was passiert.« Über die knirschenden Glasscherben hinweg schob er die Platte noch etwas weiter vor.
Die Tür zum Vorraum wurde aufgerissen. Noch mehr Wachleute.
Chase trat auf die Metallplatte und kniete nieder. Widerstrebend tat Sophia es ihm nach und klammerte sich an ihm fest. Entschlossen packte Chase die verbogenen Ecken des Kunstwerks, beförderte die Platte mit kleinen Ruckbewegungen zentimeterweise nach vorn und wandte den Kopf zu Sophia herum. Ihre Wangen berührten sich. »Bereit für den Ritt auf dem fliegenden Teppich?«
Sie nickte.
Die Wachleute stürmten ins Büro. »Keine Bewegung!«, brüllte jemand.
Ein letzter Ruck – und die beiden kippten über den Fensterrand und glitten in die Tiefe.
6
S ie schossen entlang der Glasfassade in die Tiefe, und der Wind riss Sophias Schrei mit sich fort. Die Metallplatte kreischte und bockte.
Chase klammerte sich mit aller Kraft an den verbogenen Ecken fest, deren Ränder in seine Handfläche schnitten. Er ertrug den Schmerz jedoch stumm – etwas anderes blieb ihm auch gar nicht übrig, denn hätte er losgelassen, hätte er keinerlei Einflussmöglichkeit mehr auf ihre Schussfahrt gehabt.
Die Etagen rasten vorbei. Wo sie die Glasflächen der Fassade rammten, barsten und zerschellten Fensterscheiben. Sie hinterließen eine Spur der Verwüstung. Der Fahrtwind wehte Chase ins Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wie schnell sie waren, er wusste nur, dass es zu schnell war, und auf einmal erschien ihm sein Fluchtplan vollkommen verrückt …
Das Gefälle nahm ab. Erst auf fünfundvierzig Grad, dann verringerte es sich weiter; die halbe Strecke lag bereits hinter ihnen.
Dennoch wurden sie nicht langsamer.
Der künstliche See, der wie ein Burggraben am Fuß der Fassade angelegt war, wurde immer größer, ein Gewoge surrealer Farben. Er kam näher, immer näher …
Sie schossen von der letzten Etage hinunter und prallten mit hoher Geschwindigkeit aufs Wasser auf. Hinter ihnen barst die Fensterscheibe. Eine gewaltige Gischtwolke wurde aufgeworfen, als Chase und Sophia
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