Das Grab des Salomon
ganzes Leben lang nie in Frage gestellt worden, weder durch seine Eltern noch durch ihn selbst. Er hatte schon immer das brennende Verlangen verspürt, sein Leben der Kirche zu widmen. Vielleicht hatte er nicht immer gewusst, in welcher Eigenschaft – wer wusste das schon in seiner Jugend? Doch schon in der Highschool hatte sein Weg festgestanden. Seine Klassenkameraden hatten Pläne fürs College geschmiedet und bestenfalls vage Vorstellungen davon gehabt, was sie mit ihrem Leben anfangen wollten. Nathan hingegen hatte auf die Frage, was er nach dem Abschluss vorhatte, stets unverändert geantwortet. Ich mache den Magister in Theologie, werde zum Priester geweiht und werde eines Tages irgendwo meine eigene Kirche betreuen.
Diejenigen, die nicht zur Kirche gegangen waren, hatten meist gelacht und gemeint: »Nein, ernsthaft.« Bis auf seinen besten Freund Josh Everson, der nur genickt hatte, als hätte er keine andere Erwiderung erwartet. Und Elizabeth hatte abgesehen von gelegentlichen, spielerischen Hänseleien zumindest nie versucht, ihn davon abzubringen. In jenen Jahren hätte ihr Einfluss auf seine Welt durchaus dazu führen können, seinen Pfad für immer zu verändern, hätte sie seine Entscheidung angezweifelt. Der Umstand, dass er den Weg letztlich alleine – ohne sie – beschritten hatte, war ein Schmerz, der im Verlauf der Jahre nur geringfügig nachgelassen hatte.
Der alte Mann starrte ihn mit der üblichen Intensität an. Nathan zog fragend die Augenbrauen hoch, während er den Rest seines Kaffees austrank.
Haydens Blick verlor seine Schärfe. »Es ist schön, dich wieder zu sehen, Nate. Dass aus der Gemeinde selbst ihr eigener Pastor hervorgeht, ist eine Seltenheit. Ich hätte mir kaum bessere Begleitumstände für den Rückzug aus Gottes Diensten wünschen können.« Er senkte den Blick und sprach nicht aus, was er Nathans Vermutung nach dachte. Eine noch schönere Alternative für ihn wäre gewesen, mit der Frau an der Seite in den Ruhestand zu treten, die er geliebt hatte. Zum ersten Mal erkannte Nathan Verwundbarkeit in den Zügen des alten Mannes.
Da er nicht wusste, was er sagen sollte, räusperte er sich und flüsterte: »Ziehen wir uns denn je wirklich aus seinen Diensten zurück, Herr Pastor?«
Hayden kicherte. »Nein. Nein, ich schätze nicht. So oder so, ich vertraue darauf, dass du dich in den nächsten paar Wochen ins Zeug legst.« Zurück beim Geschäftlichen wurde seine Stimme sogleich wieder kräftiger. »Ich habe mir ein paar Ortschaften entfernt in Leicester im Kloster Christ The King eine Zelle reserviert, mangels einer besseren Bezeichnung für eine Art ›Andachtsurlaub‹.« Er grinste. »Im Wesentlichen möchte ich dir eine Weile von der Pelle bleiben, damit du dich etablieren kannst. Ich denke, nach der Einführung in die Gemeinde, die ich dir anbieten kann, wäre ich nur im Weg.«
»Sie wären überhaupt nicht im Weg«, widersprach Nathan. »Bitte, bleiben Sie, so lange Sie –«
Wieder schnitt Hayden ihm mit einer Handbewegung das Wort ab. »Das habe ich bereits getan. Es ist an der Zeit für mich, den Weg zu räumen, bevor ich anfange, während der Predigt die Kanzel voll zu sabbern. Du wirst alle Hände voll zu tun haben, auch ohne dich täglich um mich kümmern zu müssen. Außerdem ist dieses alte Haus nicht groß genug für uns beide. Wenn wir die Bücher genauer durchsehen, zeige ich dir das separate Konto, das die Kirchenältesten für mich eingerichtet haben. Es deckt die Miete für ein Zimmer an der Grazen Street für die Zeit nach meiner Rückkehr aus dem Kloster, außerdem bekomme ich eine kleine Rente für Essen und so weiter. Und die netten Damen, deren Kochkunst du heute Abend genossen hast, haben bereits darauf bestanden, mich weiterhin mit ihren wunderbaren Gerichten zu versorgen.«
Nathan lachte über das genüssliche Grinsen des alten Mannes. »Also nehmen Sie das Küchenpersonal quasi mit.«
Es folgte eine weitere wegwerfende Geste, dann nutzte Hayden die entstehende Pause in der Unterhaltung, um sich zu entschuldigen und zu Bett zu gehen. Er teilte Nathan nur noch kurz mit, dass sich unter den Kissen der Couch unten im Wohnzimmer ein Ausziehbett verbarg, das Natahn die nächsten zwei Wochen zum Schlafen dienen würde.
Nathan kehrte alleine nach unten zurück. Leise wanderte er durch die Zimmer, bis er schließlich zum Eingang der eigentlichen Kirche gelangte. Dieser Abschnitt des Hauses, der zwei Drittel des Gesamtgebäudes einnahm, stellte den
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