Das Grab des Salomon
prasselte er gegen die schmalen, übermalten Fenster des Hinterzimmers des Lokals. Peter Quinn kniete vor dem Altar – einem Bereich des Bodens, den flackernde, schwarze und rote Kerzen säumten. In der Mitte stand die Statue einer Gestalt mit untergeschlagenen Beinen und dem Kopf eines Stiers. Die Bronzehaut schimmerte im Feuerschein. Aus dem offenen Mund und kleinen Löchern an den Enden langer, spitz zulaufender Hörner drang ein steter Strom aromatischen Rauchs. Menschliche Arme waren mit nach oben weisenden Handflächen ausgestreckt, als warteten sie auf eine Opfergabe.
Vor langer Zeit hatte eine Statue wie diese sechs Meter hoch in die Luft geragt, und die Hände waren groß genug gewesen, um das sich windende, manchmal kreischende Opfer zu umfassen. Wie diese kleine Nachbildung vor ihm war jenes Götzenbild hohl, und der Ofen darin erhellte den offenen Mund wie den Eingang zur Hölle. Wurde die Opfergabe in die Handflächen gelegt, hoben die Arme sich durch Zahnräder und Flaschenzüge an und warfen das Kind in den Mund, um den Hunger des dunklen Gottes zu lindern.
Vorläufig verhinderten Quinns bescheidene Mittel und die erforderliche Diskretion, dass er dem Moloch einen richtigen Tempel errichten konnte, doch schon bald würde er genug Macht besitzen, um eine mächtige Opferstatue zu bauen, wo immer er wollte.
Dann würden die wahren Opferungen für seinen dunklen Gott wieder einsetzen. Die Opfer für seinen Meister, den mächtigsten aller Dämonen, waren von jeher die Erstgeborenen eines auserwählten Gefolgsmanns gewesen, und so würde es immer bleiben. Quinn dachte daran zurück, wie Paulson ihm an jenem Nachmittag von dem Vorfall mit Dinnecks Sohn berichtet hatte, dem erbärmlichen Priester. An seinem ersten offiziellen Amtstag war er ohnmächtig geworden wie ein Schulmädchen.
Quinn lächelte. Die Guten sind schwach , dachte er. Er fragte sich, ob er Art dazu bringen könnte, seinen Erstgeborenen aufzugeben, sollte bald ein Opfer benötigt werden. Ein Baptistengeistlicher als Opfer. Das klang wunderbar. Die in Kerzenlicht getauchte kleine Statue schien zustimmend zu lächeln.
Alles in allem war es ein produktiver Tag gewesen. Bis zu diesem Vormittag hatte Quinn Zweifel darüber gehegt, welche Rolle Vincent Tarretti bei diesem großen Versteckspiel zukam. Der Friedhofswärter ließ sich kaum in die Karten blicken. Jegliche Nachforschungen über sein Leben hatten nur zutage gefördert, was ohnehin offensichtlich war, nämlich dass Tarretti einen unvorstellbar langweiligen Mann verkörperte. Aber als Quinn ihm seinen Vorschlag mit den Blumen präsentierte, hatte er Angst in den Augen des Mannes gesehen. Sämtliche Restzweifel darüber, dass Tarretti irgendwie involviert war, hatten sich im Verlauf jenes Gesprächs aufgelöst.
Dennoch musste Peter vorsichtig bleiben. Die Ältesten würden seine wöchentlichen Berichte mit berechtigter Skepsis lesen. Einen weiteren Vorfall wie in Chicago würden sie nicht dulden. Er würde einen zweiten Fehltritt nicht überleben. Dafür würde sein Onkel Sorge tragen.
Vor seiner Fahrt zu Vincent Tarretti hatte Peter am Friedhof an der Greenwood Street angehalten. Er war zwischen den Grabsteinen umhergeschlendert und hatte sich auf Umwegen tiefer und tiefer in den abgelegenen Winkel des alten Bereichs vorgearbeitet. Es war sein dritter Besuch dort gewesen. Eine lange Weile hatte er die Engel angestarrt, die über dem Namensschild Wache hielten. So deutlich stand der Name Salomon darauf eingraviert. Wie zuvor hatte ihn freudige Erregung erfüllt und beinah dazu gebracht, auf den Boden zu sinken und mit bloßen Händen zu graben.
Doch Quinn hatte es nicht getan. Wenn er dem Schatz so nah war, wie er vermutete, musste er vorsichtig sein. Stattdessen war er umhergegangen und hatte dabei mit der Schuhspitze wahllos Laub und Erde über seine Spuren getreten, um nicht zu verraten, dass jemand dort gewesen war. Es war eine Gruft, soviel stand fest. Grüfte wurden verwendet, um etwas darin zu lagern, wenngleich in der Regel lediglich Leichen. In diesem Fall war Peter jedoch überzeugt davon, dass sie keine sterblichen Überreste enthielt. So lange suchten sie schon danach, sowohl er als auch jene, die vor ihm kamen. Wie sein eigener Onkel.
Anscheinend war ihnen die große Entdeckung nicht vorherbestimmt gewesen. Nur ihm.
Vor langer Zeit war ein junger Peter Quinn langsam und planvoll von seinem lieben Onkel Roger in das Sektenleben eingeführt worden, bereits ab seinem
Weitere Kostenlose Bücher