Das Grab des Salomon
beschäftigt gewesen, denn er hätte gerne im Vorhinein einige umfassendere Nachforschungen angestellt. Ein Mädchen im Teenageralter, das er als eines der aktiveren Mitglieder der Jungschar erkannte und dessen Name Jaylene lautete, wenn er sich richtig erinnerte, hob die Hand.
»Ich habe mal einen Aufsatz über Gottheiten aus dem Alten Testament geschrieben – über die dunkleren Gottheiten, meine ich. Kemosch sagt mir nichts, aber dieser andere Name schon«, sagte sie. »Ich bin mir ziemlich sicher, das ist dieses Ding, dem die Ammoniter ihre erstgeborenen Kinder opferten.« Angewidertes Gemurmel kam auf, überwiegend von den jüngeren Mitgliedern der Gemeinde. »Er ist einer der ältesten Dämonen. Er wird sogar in den Gesetzen Moses erwähnt. Irgendwo im Deuteronomium oder vielleicht im Levitikus. Die zwei verwechsle ich andauernd.«
Viele derjenigen, die schon lange die Heilige Schrift studierten, hatten sich an die Gräuel im Alten Testament zumindest gewöhnt, wenn sie nicht gar abgestumpft dagegen geworden waren. Es war eine gewalttätige, chaotische Zeit gewesen – gewalttätiger und chaotischer als die Moderne. Als Jaylene erkannte, auf welches Interesse aus der Gruppe ihr Beitrag stieß, fuhr sie fort. »Die Kinder wurden verbrannt. Man warf sie in den Mund einer Statue, die irgendwie brannte oder so. Ziemlich eklig!«
Weiteres Gemurmel in der Runde. Nathan zwang seine trockene Kehle zu schlucken. Im Verlauf der Diskussion war bereits der Verdacht einer Verbindung zu dem aufgekommen, was er in seinen Albträumen gesehen und gefühlt hatte, dennoch jagte es ihm einen Schauder über den Rücken, es nun ausgesprochen zu hören. Statt irgendetwas zu klären, warf Jaylenes Beitrag allerdings nur noch mehr Fragen auf. Er wollte nachhaken, aber andere hatten den Faden bereits in Richtung Menschenopfer im Alten Testament weitergesponnen und sprachen gerade über die geläufige Geschichte von Abraham, der seinen Sohn zum Berg gebracht hatte, um ihn Gott zu opfern. Blinder Gehorsam gegenüber dem Willen Gottes aus dem einzigen Grund, weil Gott ihn verlangt hatte.
»Aber letzten Endes tat er es nicht.«
»Was ist mit dieser grausigen Geschichte über Jeftah, der seine Tochter tötete?«
»Oh«, meldete sich jemand anders zu Wort. »Ich hasse diese Geschichte.«
In gewisser Weise hatte Nathan erhalten, wonach er gesucht hatte. Obwohl er eigentlich vermutet hatte, dass ihn jegliche Bestätigung der jüngsten Vorfälle verstören würde, verspürte er stattdessen überraschenderweise Beruhigung. Na schön, es könnte also sein, dass ich von einer fünftausend Jahre alten Opferzeremonie geträumt habe. Damit wäre zumindest das geklärt. Wahrscheinlich handelte es sich um Wissen, das er irgendwann im Zuge seiner Ausbildung erlangt und das sich in sein Unterbewusstsein vorgearbeitet hatte. Mehr nicht.
Das Thema erwies sich als dermaßen fesselnd, dass die Diskussion sich eine halbe Stunde über das vorgesehene Ende hinauszog. Es tat gut, in etwas so aufzugehen. Es half den Menschen, die eigene Verwirrung und Verzweiflung in anderen Angelegenheiten zu vergessen und bot Trost, zumal die Gemeinde eine Weile das Verschwinden ihres geliebten früheren Pastors vergaß.
Als die Teilnehmer den Saal verließen und zu ihren auf dem hinteren Parkplatz abgestellten Autos gingen, senkten sich die Stimmen. Angeregte Fortsetzungen einzelner Gespräche über vorherige Themen verwandelten sich in getuschelte Besorgnisbekundungen über Pastor Hayden. Nathan ging als Letzter, schaltete die Lichter aus und begab sich nach oben. Nun war er froh, dass er sich nicht für diesen Abend mit Elizabeth verabredet hatte; er fühlte sich völlig erschöpft.
In seinem kleinen Büro hörte er rasch den Anrufbeantworter ab. Das Licht blinkte, darüber wurde die Ziffer »1« angezeigt. Eine Mischung aus Hoffnung und Beklommenheit spülte über Nathan hinweg. Er drückte die Wiedergabetaste.
Eine automatische Stimme bestätigte seinen ersten Zahnarzttermin bei Dr. Crennell für Montag. Mit einer Stimme ähnlich der des Computers des Zahnarztes verkündete der Anrufbeantworter: »Keine weiteren Nachrichten.«
Wenigstens eine weitere Aufgabe im Rahmen seiner Heimkehr, die damit erledigt war. Ansonsten verlief herzlich wenig so, wie er es erwartet hatte.
Kapitel Zweiunddreißig
»Also«, sagte Nathan, bevor er sich eine Gabel voll Rührei in den Mund schob, »ich fahre heute mal dorthin, um zu sehen, was die so treiben.«
Beverly Dinneck
Weitere Kostenlose Bücher