Das Grab des Salomon
parkte unmittelbar vor der Glastür des Klubs. Er wartete auf dem Fahrersitz und klopfte geistesabwesend mit einem Finger gegen das Lenkrad, während er nach Aktivitäten drinnen Ausschau hielt. Die einzige Bewegung in der Nähe rührte von jemandem her, der den Frisiersalon Hair U Doing? nebenan betrat. Nathan stieg aus, den Blick stets auf die Tür geheftet, als fürchtete er, sein Vater könnte jeden Moment wutentbrannt herausstürzen. Nichts geschah. Wäre sein Vater hier, müsste schließlich sein Wagen irgendwo zu sehen sein. Nathan empfand es als Erleichterung, Joshs Toyota vor dem Greedy Grocer zu erspähen. Vielleicht würde er ihm noch einen kurzen Freundschaftsbesuch abstatten, falls Zeit dafür blieb.
Er ging zur übermalten Tür des Klubs. Zunächst war nirgends ein Name erkennbar. Erst, als Nathan die Hand nach dem metallenen Türgriff ausstreckte, fiel ihm darüber ein schlichter, weißer Aufkleber mit den Buchstaben HMC in orangefarbener Schrift auf. Nathan kam nie auf die Idee zu klopfen, ebenso wenig, wie er es bei einem gewöhnlichen Geschäft getan hätte. Stattdessen schob er einfach die Tür auf und trat ein.
Plötzlich ereilte Nathan eine Erinnerung an Josh und ihn selbst, wie sie im Alter von dreizehn Jahren mit ihren Rädern die Route 12 entlanggefahren waren: Sie waren bis zur Nachbarortschaft West Boylston gestrampelt. Dort angelangt, kamen sie an einer Reihe unscheinbarer, aber gepflegter Bürogebäude aus Ziegelsteinen vorbei. Die Jungen stellten die Fahrräder vor einem davon ab und gingen einfach hinein. Die »Apartments«, wie die verschiedenen abgegrenzten Räumlichkeiten laut dem Verzeichnis in der Eingangshalle hießen, wiesen einen langweiligen Firmennamen nach dem anderen auf. Nathan und Josh gestalteten es zu einem Abenteuer, durch die stillen Flure zu schlendern, aus dem Wasserspender zu trinken, die Toiletten zu benutzen, auf den vereinzelten Stühlen zu sitzen, die den nach Desinfektionsmittel riechenden Gang säumten, und alte Zeitschriften zu lesen, die herumlagen. Irgendwann forderte sie jemand aus einer kleinen Anwaltskanzlei auf zu verschwinden.
Mit rasenden Herzen waren sie aus dem Gebäude gerannt und hatten dabei hysterisch gelacht. Durch ihre überstürzte »Flucht« war ihnen erst zwei Häuserblocks später klar geworden, dass sie die Fahrräder vergessen hatten. Immer noch lachend hatten sie sich zurückgeschlichen, um sie zu holen.
Eine halbe, vielleicht eine Dreiviertelstunde im Leben zweier gelangweilter Jungen. Als Nathan nun uneingeladen den Herrenklub betrat, erinnerte er sich an den Geruch jenes lange vergessenen Orts von damals nach staubigen Möbeln und abgestandener Luft.
Nathan ließ die Tür des Hillcrest Men‘s Club geräuschlos hinter sich zuschwingen und roch die alte, innen über die Fenster und die Tür verschmierte Seife sowie schalen Bierdunst.
Der Raum maß etwa neun mal neun Meter und präsentierte sich menschenleer. In der rechten hinteren Ecke befand sich eine kleine Bar, ein hohes, aber schmales Gebilde, wie es sich manche Leute in Kellerräumen einrichteten. Auf der Theke lag eine leere Marlboro -Zigarettenschachtel neben zwei Bierflaschen, die jeweils noch etwa einen Fingerbreit abgestandenes Budweiser enthielten. Budweiser und Marlboro , dachte er. Viel altmodischer amerikanisch geht es kaum . Der Anblick der Gegenstände auf der Theke bot eine ironische Erleichterung. Wenn das Schlimmste, womit er es zu tun hatte, ein paar Biere und Passivrauchen waren, steckte Art Dinneck vielleicht doch nicht in ganz so argen Schwierigkeiten.
All das beobachtete Nathan, ohne sich weiter als zwei Schritte in den Raum vorzuwagen. Langsam drehte er den Kopf von Seite zu Seite und nahm den Rest der unscheinbaren Einzelheiten in sich auf. An der hinteren Wand neben der Bar erblickte er eine geschlossene Tür, deren grüne Farbe rings um die obere Angel abblätterte. Vermutlich führte sie zu einem Lagerraum. Dies war tatsächlich einst ein Geschäft gewesen. Welches, daran konnte er sich nicht genau erinnern. Eventuell ein Modellbauladen, wenngleich er sich zu besinnen glaubte, dass dieser sich nebenan im nunmehrigen Teppichgeschäft befunden hatte. Die Einrichtung – teils gepolstert, teils schlichte Klappstühle, zumeist um verschieden große Tische aufgestellt – war in drei Gruppen angeordnet, die Bar und deren zwei Hocker nicht mitgerechnet. Auf einem niedrigen Tisch stand ein Telefon, dessen Kabel unter einem kleinen Teppich verlief, dessen
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