Das Grab des Salomon
mir nicht im Traum ein«, erwiderte sie. Die Zuneigung in ihren Worten – die in einer anderen Situation fälschlich als Zurückweisung hätten interpretiert werden können – berührte ihn zutiefst.
Er wusste, was sie damit sagen wollte. Sie meinte es ernst und hatte ihm ein unausgesprochenes Versprechen gegeben. Es war eine Vereinbarung, die sie vor Jahren getroffen hatten, dennoch fühlte es sich beruhigend an, sie nun, in ihren neuen Leben, wiederholt zu hören.
Wieder klingelte sein Mobiltelefon.
Im Verlauf des nachfolgenden Albtraums sollte er häufig auf jenen Moment seines Lebens zurückblicken, den Moment, in dem er den Anruf annahm, der sich ihm wie ein Standbild präsentieren sollte, der letzte Augenblick der Normalität. Ihre Hand in der seinen. Bevor sich alles für immer veränderte.
Zunächst griff er nicht nach dem Telefon und hielt den Blickkontakt mit ihr aufrecht. »Wozu gibt es Voicemail?«
Spielerisch schlug sie seine Hand weg. »Du musst abheben, Nate. Das gehört jetzt zu deinem Beruf. Ich werde mich ohnehin daran gewöhnen müssen.«
Reflexartig zog er das Telefon hervor und sonnte sich im Schein des Versprechens, das in ihrer Äußerung mitschwang.
»Nathan Dinneck.«
» Pastor Dinneck, du Trottel ...«, flüsterte Elizabeth.
Er grinste.
»Herr Pastor, hier ist Bruder Armand.« Etwas in der Stimme des Mannes verriet Nathan, dass es sich um keinen erfreulichen Anruf handelte ... noch bevor der Mönch sagte: »Ich fürchte, ich habe entsetzliche Neuigkeiten.«
TEIL DREI: SALOMONS GRAB
Prolog
Konstantinopel, 1204 a. D.
Schwester Danelis Raoulaina trat mit leisen, zögerlichen Schritten aus der unterirdischen Kapelle des Heiligen Markus. Stimmen von Männern, manche fern, manche Furcht erregend nah, hallten aus jeder Richtung durch den Gang. Einen Augenblick schien es so, als hielten das Gelächter, das wütende Gebrüll und das Zerbrechen von Glas und unbekannten Gegenständen unmittelbar auf sie zu, ehe die Geräusche weiterzogen. Selbst aus der Ferne ließen die Stimmen und ihr rauer, barbarisch anmutender Tonfall die kleinwüchsige Frau vor Angst erzittern. Kurz hatten sie und ihre Schwestern beobachtet, was sich draußen auf den Straßen zutrug. Die achtzehn Nonnen ihres Ordens hatten sich zum Vormittagsgebet in der Kathedrale befunden, als die Kreuzritter eintrafen. Vor jenem Augenblick hatte friedliche Stille geherrscht, nur durchbrochen vom reuigen Geflüster der Nonnen, dem vereinzelten Klicken eines Rosenkranzsteins gegen die Marmorbänke und dem müßigen Hufgeklapper von Pferden auf dem Hauptplatz draußen.
Dann waren sie gekommen wie ein vom Meer hereingewehter Sturm, der sich von den Wellenbrechern nicht mehr aufhalten ließ. Eine dichte Woge der Gewalt, aus Männern, die sich ihren animalischen Instinkten ergaben, angetrieben von Satan höchstpersönlich.
Es geschah wie in Schwester Danelis‘ Träumen, in ihrer von Gott gesandten Vision. Der Teufel war über die Kirche der Zwölf Apostel hergefallen. Sie schalt sich für ihren mangelnden Glauben, denn sie hatte gehofft, die Visionen wären in Wahrheit nur Albträume. Trotzdem hatte sie Maßnahmen getroffen, die ihr vom Mann aus Licht geschildert worden waren, der in den heiligen Visionen mit ihr gesprochen hatte. Er hatte sie angewiesen, welche Vorbereitungen zu treffen waren. Zwei Monate, lange genug, um seine Wünsche zu erfüllen und zu hoffen, dass Gottes Wille nicht geschehen müsste.
Aber sie waren gekommen, und nun wütete der Sturm des Bösen über ihr durch die Kathedrale. Sie glichen Dämonen, die sich alles nahmen, was ihnen unter die blutigen Finger kam, die Konstantinopels Frauen schändeten und niemanden verschonten, nicht einmal Nonnen. All das beobachteten sie durch die großen Fenster über dem Hauptplatz, wenngleich nur kurz, bis die Züge der Mutter Oberin erstarrten und sie ihnen befahl, sich in die Katakomben zu begeben. Sie sollten dem als Pfad des Heiligen Petrus bekannten Weg zu einer abgeschiedenen Anlegestelle an den felsigen Klippen unterhalb der Kirche folgen. Dieser Weg wurde allen Schwestern für den Fall eingebläut, dass die Türken eine weitere Belagerung der Stadt versuchen würden.
Diesmal jedoch bestanden die einfallenden Horden aus ihren eigenen christlichen Soldaten, möge Gott ihnen allen verzeihen.
Schwester Danelis‘ direkter Obhut unterstanden zwölf Novizinnen. Schon früh hatte sie aus ihren Rängen fünf ausgewählt, die sich als am tauglichsten für körperliche
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