Das Grab des Salomon
Düsternis drinnen seine Züge.
»Pastor Dinneck«, sagte er leise, dann zögerte er, als er Elizabeth erblickte. »Oh, tut mir Leid. Ich dachte, Sie kämen allein.«
»Vincent, das ist Elizabeth O‘Brian«, erwiderte Nathan und nickte mit dem Kopf in ihre Richtung. Flüchtig drehten Tarrettis Umrisse sich ihr zu, dann wieder Nathan.
»Kann sie –«, setzte er an und verstummte. Er drückte die Windfangtür auf und bedeutete ihnen, ins Haus zu kommen. Sie gingen in ein kleines Wohnzimmer, das von Licht erhellt wurde, das aus der Küche dahinter drang. Nathan bemerkte eine Couch, einen Tisch und einen Stuhl. Zu seiner Rechten befand sich ein kurzer Gang, der wahrscheinlich zum Schlafzimmer führte. Der Hund – ein großer schwarzer Labrador mit grauen Flecken rund ums Gesicht – stand am Eingang zur Küche und wackelte unstet mit dem Schwanz, als wäre er nicht sicher, was er von diesem Besuch halten sollte.
»Kommen Sie bitte in die Küche«, forderte Tarretti sie auf, »und keine Angst wegen Johnson. Er ist gut abgerichtet.« In der Aussage schwang unterschwellig eine Drohung mit, wenngleich Nathan nicht recht wusste, weshalb. Nichts an den Reaktionen des Mannes auf die Neuigkeit von Haydens Tod schien einen Sinn zu ergeben. Nathan hatte schon vielerlei Arten miterlebt, wie Kummer sich äußern konnte, und es hätte ihn nicht überrascht, Anzeichen dafür zu sehen, dass Tarretti geweint hatte, als sie ins gelbliche Licht der Küche traten. Die steinerne Miene des Friedhofswärters zeigte jedoch nur ... was? Argwohn? Unablässig bedachte der Mann Elizabeth mit vorsichtigen Blicken. Nathan verspürte den seltsamen Drang, ihre Anwesenheit zu erklären.
»Elizabeth und ich waren gerade im Cabel , als ich Sie anrief.«
Sie fügte hinzu: »Ich hoffe, es ist in Ordnung, dass ich mitgekommen bin.« Nur Nathan vermochte, aus ihrer Stimme einen Tonfall herauszuhören, der andeutete, dass es ihr eigentlich egal war.
»Sind Sie beide ... irgendwie miteinander liiert oder so?« Tarretti blieb neben einem kleinen Tisch stehen. Es gab nur zwei Stühle im Raum. Niemand machte Anstalten, sich zu setzen.
Elizabeth lächelte. »Oder so. Spielt das eine Rolle?«
Tarrettis Züge verhärteten sich, und jeder Anschein von Freundlichkeit verschwand daraus. »Es spielt eine große Rolle«, erwiderte er. Dann wandte er sich Nathan zu. »Ich muss wissen, ob man ihr vertrauen kann. Was ich Ihnen erzählen werde – falls ich es Ihnen erzähle –, darf diesen Raum nicht verlassen. Ich habe zu lange damit verbracht, –«
Unvermittelt setzte er ab und blickte mit hin und her zuckenden Augen zu Boden, als versuchte er, sich an etwas zu erinnern.
Wie schon bei ihrem Telefongespräch unmittelbar nach Haydens Verschwinden verspürte Nathan Verärgerung über den Mann. Tarretti schien eine Art Ratespiel zu treiben, und Nathan hatte keine Geduld mehr dafür.
»Vincent, ich lege Ihnen dringend nahe, mir zu erzählen, was Sie über Pastor Hayden wissen. Wenn nicht, fahren wir auf der Stelle zur Polizei und –«
»Sie haben ja keine Ahnung, was los ist, Mr. Dinneck!« Diesmal brüllte er, und wieder zuckten seine Augen nervös hin und her. »Sagen Sie mir nicht, was ich zu tun habe und was nicht. Ich bin allein Gott Rechenschaft schuldig.« Johnson, der sich unter den Tisch gelegt hatte, der seine stattliche Masse nicht zu verbergen vermochte, hob den Kopf und knurrte.
Dieser Typ ist verrückt , schoss es Nathan durch den Kopf. Nachdem ihm der Gedanke gekommen war, erwies er sich als schwierig abzuschütteln. Die Möglichkeit, dass er gerade mit Haydens Mörder sprach, nahm eine neue, noch dunklere Bedrohlichkeit an. Nathan rückte näher zu Elizabeth, als wollte er bereit sein, sich schützend vor sie zu stellen, sollte Tarretti sich plötzlich bewegen. Johnsons Blick folgte ihm. Der Hund knurrte immer noch leise, hörte sich jedoch eher verwirrt als wütend an.
»Mr. Tarretti«, sagte Nathan, tat es dem Friedhofswärter gleich und wechselte zu einer förmlicheren Ausdrucksweise. »Klären Sie uns sofort auf, oder Sie begleiten uns zur Polizei, und wenn ich Sie dafür niederschlagen und bewusstlos hinschleifen muss.« Während er sprach, trat er einen Schritt vorwärts. All die Verwirrung und aufgestaute Wut der vergangenen Tage begannen allmählich überzukochen. Sein Tonfall blieb gemessen, doch er ertappte sich dabei, regelrecht zu hoffen, der Mann würde sich weigern, damit Nathan seine Drohung in die Tat umsetzen könnte.
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