Das Grab im Moor
Sara plötzlich aufgeregt.
Zwischen den verrotteten Blättern tauchte plötzlich ein Licht auf und gleich darauf ein zweites. Kleine schwebende Flämmchen tanzten zwischen den Zweigen. Irrlichter! Sie bildeten eine Linie im Moor. Das musste der Weg sein, den die Irrlichter Doktor Ekwall wiesen! Dann hatte er keinen großen Vorsprung. Wenn Karl und Sara einfach derselben Spur folgten, würden sie ihn finden – und mit ihm das Amulett!
»Können wir ihnen vertrauen?«, wisperte Karl. »Vielleicht wollen sie uns in den Sumpf locken . . .«
»Ich fürchte, das ist ein Risiko, das wir eingehen müssen«, murmelte Sara.
Schon bald konnten sie den Klarsee funkeln sehen. Dorthin also hatte das Amulett Doktor Ekwall geführt.
Sie blieben stehen. Schon von hier aus konnten sie erkennen, dass mit der Wasseroberfläche etwas nicht stimmte. Große Wellen rollten über den kleinen See und der silbrige Schein, den sie das letzte Mal gesehen hatten, war jetzt so stark, dass er sie fast blendete.
Kapitel 22
Doktor Ekwall war schon fast am Steg angelangt. Er bewegte sich langsam, als wäre er in einer Art Trancezustand. Um ihn herum kreisten die Irrlichter. Sara und Karl eilten ihm nach.
»Doktor Ekwall!«, schrie Sara. »Warten Sie!«
Verwundert blieb Doktor Ekwall stehen und drehte sich um.
»Verschwindet von hier!«, zischte er. »Das ist mein Schatz!«
»Sie haben das Moor geweckt«, rief Karl. »Die ganze Stadt wird untergehen!«
»Wollt ihr mich für dumm verkaufen?«, erwiderte Doktor Ekwall und zeigte hinaus aufs Wasser. »Ich sehe den Schatz doch schon. Dort!«
Verwirrt blickten Sara und Karl auf den leuchtenden See. Doktor Ekwall sah offenbar etwas, das für sie selbst unsichtbar war. Wenn er den Schatz hob, würde die ganze Stadt im Sumpf versinken. Sie mussten ihn aufhalten.
Mit einem Schrei stürzten sie sich auf ihn, als er gerade den Steg betreten wollte. Er versuchte ihnen auszuweichen, aber Karl war schneller. Während Sara sich an Doktor Ekwalls Rücken klammerte, riss Karl ihm das Amulett vom Hals. Im hohen Bogen flog es davon.
»Danke …«, hörten sie da eine leise Stimme.
Totenstille machte sich breit.
Karl, Sara und Doktor Ekwall drehten sich um. Entgeistert starrten sie auf die dunkle Silhouette einer Frau im Rollstuhl. Engla Forin. Und das Amulett war genau vor ihren Füßen gelandet.
Die alte Frau beugte sich steif nach unten und bekam es mühsam zu fassen. Für Karl war es unbegreiflich, dass ihr das gelang – und noch viel unverständlicher, wie sie es im Rollstuhl bis zum See hinunter geschafft hatte.
»Engla«, stöhnte Doktor Ekwall angestrengt. »Ich habe es ohne dich gefunden. Es gehört jetzt mir.«
Sie antwortete nicht. Mit steifen Fingern legte sie sich das Amulett um. Dann holte sie tief Luft und stand mit zitternden Beinen aus dem Rollstuhl auf.
Reglos beobachteten Sara, Karl und Doktor Ekwall die alte Frau, die jetzt mit unsicheren Schritten auf den Steg zuging. Es war, als hätte das Amulett ihr neue Kraft verliehen. Die Oberfläche des Sees blubberte und schäumte, als ob das Wasser kochte.
Eine Hand fest an dem Geländer, das auf der einen Seite des Steges angebracht war, tastete Engla sich vorwärts.
Mit einem Satz hastete Doktor Ekwall ihr hinterher, aber Sara und Karl ließen sich nicht abschütteln.
»Gib mir das Amulett«, brüllte Ekwall. »Das ist mein Schatz!«
Engla winkte nur abwehrend. Sie blieb erst stehen, als sie am Ende des Stegs angelangt war.
Unruhig tasteten ihre Finger nach dem Amulett.
»Es hat mich gequält und mir mein Leben lang Albträume bereitet. Es hat mich gerufen. Fünfzig Jahre lang. Und dennoch habe ich nie gewagt, was diese beiden gewagt haben: das Grab Albert des Tischlers zu öffnen.«
Sie sah Karl und Sara mit Augen voller Tränen an.
»Dank euch kann ich jetzt endlich meinen Frieden finden …«
»Engla?«, murmelte Doktor Ekwall. »Was hast du vor?«
Sie drehte sich um und blickte ihn ernst an.
»Ich habe vor, das hier zu Ende zu bringen. Ich werde dafür sorgen, dass niemals wieder jemand in Versuchung kommt, nach dem Amulett zu suchen oder es zu benutzen.«
Aufgebracht schob Doktor Ekwall sich zwischen Engla und das Wasser. Karl warf Sara einen verzweifelten Blick zu. Mussten sie nicht etwas unternehmen? Was sollten sie tun?
»Gib es mir, Engla. Es wäre Verschwendung, es jetzt in den See zu werfen. Wir können es zum Wohle der Stadt einsetzen.«
Engla hielt inne.
»Meinst du nicht eher dein eigenes
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