Das Grab im Moor
Nervosität lief die Vorstellung noch besser als erwartet. Alle beherrschten ihren Text und Sara glänzte in ihrer Rolle. Genau wie in der Spukgeschichte vergaß das Ensemble nach und nach alle Gedanken an Flüche und böse Vorahnungen.
Das Publikum fühlte sich mit Tränen und Gelächter in die Geschichte ein und jubelte, als Lilly ihren kleinen Bruder rettete und ihre Familie wieder vereinen konnte.
Es wurde Zeit für die dramatische Schlussszene. Ein grässlich klagender Laut aus den Kulissen verriet, dass die Dämonen auf dem Weg aus dem Sumpf waren. Aber natürlich fanden Lilly und ihre Familie wohlbehalten den Weg ans Meer, wo die Möwen schrien.
Erst da bemerkte Karl, dass Doktor Ekwalls Platz im Publikum leer war. Er musste das Theater während der Vorstellung verlassen haben.
Das Publikum stand auf, applaudierte begeistert und die Schauspieler verbeugten sich.
Sara begegnete Karls Blick und strahlte ihn an.
Wenn ein Fluch auf diesem Stück gelegen hatte, so hatten sie ihn jetzt besiegt. Nur Doktor Ekwalls leerer Platz verhieß nichts Gutes.
Und just in diesem Augenblick wurde die Tür aufgeschlagen und Oskar und Sebastian stürmten in den Saal. Die beiden waren völlig durchnässt und schmutzig.
»Ihr müsst sofort kommen!«, schrie Sebastian mit schriller Stimme.
»Draußen stimmt was nicht!«, rief Oskar. »Und zwar ganz und gar nicht!«
Kapitel 21
Totenstille machte sich in den Reihen breit. Niemand sagte ein Wort, aber alle dachten dasselbe. Keiner spielt
Ein Haus am Meer,
ohne dass jemand dafür mit dem Leben bezahlt . . .
Sebastian und Oskar stand das Entsetzen ins Gesicht geschrieben.
»Die ganze Stadt ist überschwemmt«, keuchte Sebastian. »Überall ist Wasser.«
»Beeilt euch!«, bettelte Oskar. »Sonst ist es zu spät!«
Kaum hatte er das gesagt, wurde das Bürgerhaus von einem Grollen erschüttert, das sich anfühlte wie ein Erdbeben. Alles wackelte. Schreie wurden laut. Die Kulissen stürzten ein und die Leute schubsten, als sie verzweifelt versuchten, nach draußen zu kommen. Ein Krachen dröhnte aus dem Foyer und Karl ahnte, dass das Büfett zusammengebrochen war.
»Was kann das sein?«, fragte er seine Mutter.
»Ich weiß es nicht«, antwortete sie ihm ins Ohr. »Aber ich fürchte, es ist nichts Gutes . . .«
Sara tauchte neben ihnen auf und zusammen suchten sie einen Weg aus dem Theater.
Draußen vor dem Bürgerhaus herrschte vollkommenes Chaos. In der ganzen Stadt hatte sich schmutziges, morastiges Wasser ausgebreitet. Alles stank nach Schwefel und verrotteten Pflanzen. Menschen rannten durcheinander, eilten zu ihren Häusern und Gärten. Matsch quoll zwischen den Pflastersteinen hoch und braune, stinkende Brühe sprudelte aus den Gullydeckeln. Doktor Ekwall war noch immer verschwunden, aber Karl war sich sicher, dass er irgendetwas mit dieser Sache zu tun hatte.
Das Donnern, das sie drinnen im Theater gehört hatten, war ein Erdrutsch gewesen, der direkt hinter der Kirche ein ganzes Ferienhausgebiet mit sich gerissen hatte.
»Ich wusste, dass etwas passieren würde. Ich wusste es!«, rief Ursula triumphierend. »Dieses verfluchte Theaterstück!«
»Irgendwo muss eine Sickerstelle gewesen sein«, murmelte Schrott-Jansson nachdenklich und schüttelte den Kopf. »Und wenn die nur groß genug war . . .«
Sara und Karl schauten sich an. Sie waren beide ganz sicher, dass alles bedeutend schlimmer war als eine simple Sickerstelle. Anders als sie gedacht hatten, war der Fluch keineswegs gebrochen. Aber was war schiefgegangen?
»Karl!«, rief Großvater. »Geh auf der Stelle nach Hause und nimm Sara mit.«
»Und was macht ihr?«
»Wir helfen, wo es nötig ist. Wenn das so weitergeht, müssen wir wohl die Boote holen.«
»Ich werde das Schiff kontaktieren«, sagte Mama. »Vielleicht können unsere Pumpen nützlich sein.«
Sie drehte den Kopf.
»Karl, hast du gehört! Nimm Sara mit nach Hause, sofort!«
Karl und Sara nickten, ohne auch nur eine Sekunde daran zu denken, zu gehorchen. Das hier mussten sie selbst regeln und sie hatten keine Zeit für Erklärungen, die ihnen ohnehin niemand glauben würde.
Sie rannten zur Eiche. Sara tastete mit den Fingern nach dem Loch im Stamm, aber das Versteck war leer.
Doktor Ekwall. Er musste das Amulett gestohlen haben. Und jetzt war er hinter dem Schatz her.
Bestürzt betrachteten sie das Durcheinander, das sie umgab. Eilig hatten die Leute ihre Pumpen angeworfen und angefangen, Wälle zu bauen, um sich vor der
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