Das Grab im Moor
der erste Vogel, der wieder zu hören war.
»Was machen wir jetzt damit?«, fragte Karl.
»Es gibt eine Fortsetzung der Sage«, sagte Sara, ohne auf seine Frage zu antworten. »Aber die ist längst nicht so bekannt. Wahrscheinlich, weil sie furchtbar unheimlich ist. Willst du sie hören?«
Der Schatz im Moor
»Seit Lillys Familie an die Küste gezogen war, kamen immer mehr Menschen übers Meer und ließen sich in Krabbsjögrund nieder. So begann die kleine Stadt zu wachsen. Ein Geschwisterpaar, Bruder und Schwester, beschlossen, ihr Haus ein kleines Stück vom Hafen entfernt zu bauen, genau am Rande des Moores.
Als die Geschwister den Grund um ihr Haus herum pflügten, damit sie den Boden bewirtschaften konnten, stießen sie durch einen Zufall auf ein Amulett, das in der Erde vergraben gewesen war. Die beiden kannten die Sage von der Gründung der Stadt und sie ahnten, welches Amulett sie da gefunden hatten.
Die Schwester war der Ansicht, dass sie das Amulett benutzen sollten. Vielleicht würde es sie ja zu dem Schatz im Moor führen? Dann müssten sie nie wieder hungern. Aber der Bruder wollte das Amulett dem Pfarrer geben, denn sie wussten doch nicht, was mit ihnen passieren konnte, wenn sie es bei sich behielten. Der Legende nach musste man sich schließlich um das Amulett verdient gemacht haben, um es verwenden zu dürfen, sonst konnte es böse enden.
Den ganzen Tag und den ganzen Abend diskutierten sie hin und her, dann beschlossen sie, eine Nacht über die Sache zu schlafen.
Aber die Schwester schmiedete heimlich andere Pläne. Sie wartete, bis ihr Bruder eingeschlafen war, nahm sich dann das Amulett und schlich hinaus in die dunkle Nacht. Bei dem Gedanken an den Schatz fühlte sie sich wie berauscht.
Es war windig und die Wellen schäumten an den Klippen von Norrskaten, als sie ins Moor aufbrach. Obwohl es Frühling war, war die Nacht außergewöhnlich still. Die Vögel saßen stumm in den Bäumen und folgten ihr mit den Augen. Schon bald war sie im dichten Gestrüpp des Moores angekommen und Himmel und Sterne waren nicht mehr zu sehen.
Sie blieb stehen. Entweder war die ganze Geschichte über das Amulett und den Schatz im Moor frei erfunden – oder die Irrlichter würden ihr jeden Moment den Weg zeigen. Und sie musste nicht lange auf Antwort warten. Kleine Lichtpunkte leuchteten einer nach dem anderen rings um sie herum auf. Sie lachte leise. Es funktionierte!
Die Irrlichter bildeten eine leuchtende Kette geradewegs ins Moor hinein und sie musste nichts anderes tun, als ihnen zu folgen, dann würde sie reich werden. Sie spürte, dass sich in der Dunkelheit noch anderes regte und auch, dass das die Verdammten und Toten sein mussten, die von der Kraft des Amuletts zum Leben erweckt worden waren und ihren Schatz um keinen Preis freigeben wollten. Aber wenn sie sich beeilte und sich nicht um die Gespenster scherte, dann konnten diese ihr auch nichts anhaben.
In der Ferne sah sie etwas glitzern und leuchten und es dauerte nicht lange, da stand sie am Ufer des silbrig glänzenden Klarsees. Die Irrlichter führten sie ganz bis ans Ende des alten Steges. Und als die Schwester nach unten ins Wasser blickte – sah sie ihn, direkt unter der Oberfläche.
Ein gewaltiger Silberschatz, der den ganzen See funkeln ließ.
Sie lachte laut auf. Eifrig begann sie, so viel sie nur konnte, aus dem Wasser zu heben. Schmuck und Münzen, Edelsteine und andere fantastische Kostbarkeiten. Jetzt würden sie und ihr Bruder ein Leben lang keinen Handschlag mehr tun müssen! Nur, wie sollte sie das alles alleine nach Hause tragen . . .?
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, da fiel ihr schon ein, wie sie das Problem lösen konnte. Sie musste nur schnell zurück nach Hause laufen und ihren Bruder holen. Zusammen würden sie viel mehr mitnehmen können.
Die Taschen vollgestopft mit Reichtümern und den Arm mit Schmuck beladen, hastete sie durch das Moor nach Hause, während ihr die Irrlichter den Weg wiesen.
Aber führten die Flämmchen sie wirklich aus dem Moor heraus? Obwohl sie das Gefühl hatte, schon längst wieder zu Hause sein zu müssen, konnte sie nichts Vertrautes entdecken. Ungeduldig beschimpfte sie die Irrlichter.
›Was macht ihr denn da? Zeigt mir endlich den richtigen Weg! Ich habe es eilig.‹
Aber die Irrlichter schwebten nur stumm in kleinen Kreisen um sie herum.
Und dann sah sie es. Ihr Haus. Es war tief in den Morast eingesunken, von schwarzen Blättern und Pflanzen bedeckt. Von
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