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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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gewesen. Rhonda war von einem Lastwagenfahrer in die Notaufnahme gebracht worden, der das den Highway entlangirrende Mädchen aufgelesen hatte. Irgendein Wahnsinniger hatte sie vergewaltigt, ihr die Augen ausgestochen und die Hände abgehackt. Eine der Schwestern war bei dem Anblick tatsächlich in Ohnmacht gefallen. Vicki, die ihr Aderpressen angelegt und die Infusionen vorbereitet hatte, hatte einen klaren Kopf behalten und bei sich gedacht, dass sie Melvin Dobbs und seiner unglaublichen Wundermaschine dankbar sein sollte. Nachdem sie gesehen hatte, wie er versuchte, der toten Darlene Starthilfe zu geben, und Zeuge geworden war, wie ihr Kopf herunterfiel, konnte selbst die entsetzliche Verstümmelung von Rhonda Jones sie nicht völlig aus der Bahn werfen.
    Aber ich glaube nicht, dass ich mich bei ihm bedanken werde, dachte sie.
    Sparst du dich für mich auf?
    Sie erinnerte sich, dass sie letzte Nacht von ihm geträumt hatte und um halb drei nach Luft ringend und mit durchgeschwitztem Nachthemd aus dem Schlaf geschreckt war. Sie hatte sich nicht an den Alptraum erinnern können, nahm aber an, dass es in etwa der gleiche wie in Aces Haus gewesen war. An den erinnerte sie sich sehr wohl.
    Seit ihrer Rückkehr hatte sie jede Nacht von Melvin geträumt. Dreimal war sie davon aufgewacht. Sie vermutete, dass die kurze Begegnung mit ihm an der Tankstelle ihr Unterbewusstsein aufgewühlt hatte. Die Alpträume, so schlimm sie auch waren, beunruhigten sie nicht sonderlich, außer wenn sie eine Hauptrolle darin spielte.
    Schließlich war sie an Alpträume gewöhnt.
    Nach der Wissenschaftsausstellung hatte sie ungefähr zwei Monate lang ständig welche gehabt. Schließlich waren sie deutlich seltener aufgetreten, außer wenn irgendein beunruhigendes Ereignis eine neuerliche Serie ausgelöst hatte.
    Auch die neuen Alpträume würden mit der Zeit weniger werden, genau wie bisher. Bis es so weit war, würde sie eben mit ihnen leben müssen.
    Ihr waren die alten Alpträume lieber. Sie hatten im Wesentlichen aus Wiederholungen der tatsächlichen Ereignisse bestanden, ohne die bizarren und grauenvollen Abwandlungen der jüngsten Träume. Und sie war nur Zuschauerin gewesen, keine Mitwirkende. Jetzt hatte sie das Gefühl, dass sich Melvins perverser Auftritt um sie drehte.
    Alles meine Schuld, dachte sie. Ich hätte nicht bei ihm tanken sollen.
    Vicki seufzte. So viel zum Genuss der paar extra Kuschelminuten vor dem Aufstehen. Sie streckte die Hand aus, stellte die Weckwiederholung ab und wälzte sich aus dem Bett. Sie tappte durch die Dunkelheit zum Badezimmer. Nach dem Waschen ging sie ins Schlafzimmer zurück und schlüpfte in ihre Laufklamotten, die sie sich am Abend zurechtgelegt hatte. Sie streifte sich eine dünne Kette über den Kopf, an der ihr Wohnungsschlüssel und eine Trillerpfeife hingen, die sie in den Ausschnitt ihres T-Shirts fallen ließ.
    Der Korridor vor ihrer Wohnung war nur spärlich beleuchtet. Sie ging so leise wie möglich und presste eine Hand auf ihre Brust, damit der Schlüssel und die Trillerpfeife nicht klirrten.
    Sie mochte diesen Korridor nicht. Weder spätabends noch um fünf Uhr morgens.
    Er war ihr unheimlich.
    Alle Korridore waren ihr unheimlich, wenn sie in einem stillen Gebäude allein war. Du kannst dir’s aussuchen, dachte sie: Schule, Studentenheim, Krankenhaus, Bürogebäude, Mietshaus. Ein leerer Flur ist einfach nicht ganz geheuer, wenn alle anderen unterwegs sind oder schlafen – oder unterwegs sein oder schlafen sollten.
    Wenn du auch nur das kleinste Geräusch machst, könnte plötzlich jemand eine Tür aufstoßen und dich anspringen.
    Dieser Korridor war L-förmig, und Vicki musste um die Ecke biegen, ehe sie die Lobby und die Eingangstür erreichte. Sie mochte diese Ecke nicht besonders.
    Doch sie ging ohne Zögern herum.
    Die Tür des Hausbesitzers stand offen.
    Na toll.
    Sie warf im Vorbeigehen einen Blick darauf und sog erschrocken die Luft ein. Dexter Pollock stand reglos im Türrahmen, im Bademantel, barfuß, und starrte sie an. Sie verzog den Mund zu einem freundlichen Lächeln, murmelte »Hi« und ging weiter.
    »Auf ein Wort«, sagte Dexter.
    Er trat nicht aus der Türöffnung, also musste sie zu ihm zurück gehen. Er stand einfach nur da, die Hände in die Taschen seines Bademantels gestemmt. Seine Füße wirkten im spärlichen Licht ungeheuer bleich. Er war ein großer, massiger Mann über sechzig, der reichlich Fett angesetzt hatte, doch in Vickis Kinder- und Jugendzeit war

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