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Das Grab - Roman

Das Grab - Roman

Titel: Das Grab - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Laymon
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er der Polizeichef von Ellsworth gewesen, und sie hegte den Verdacht, dass er noch immer die Seele eines Tyrannen hatte. Sie hätte Ace dafür umbringen können, dass sie ein Apartment gemietet hatte, das ihm gehörte .
    Sie lehnte sich an die gegenüberliegende Wand, um die größtmögliche Distanz zu ihm zu wahren, und überkreuzte die Knöchel. Er war als Lustmolch bekannt, und sie war sich ihrer nackten Beine sehr bewusst – und seiner. Sie vermutete, dass er unter seinem Bademantel nackt war.
    »Reichlich früh, um auszugehen.«
    »Ja, da haben Sie Recht.«
    »Ist noch dunkel.«
    »Bald wird’s hell.«
    »Sie sind eine gut aussehende junge Frau.«
    Sie sagte nichts. Seine Bemerkung ekelte sie an.
    »Haben Ihre Eltern Sie nicht davor gewarnt, im Dunkeln allein auf die Straße zu gehen?«
    »Sicher haben sie das.«
    »Das dachte ich mir. Ihre Eltern sind ehrenwerte Leute.«
    »Danke.«
    »Glauben Sie, sie würden es gutheißen, dass Sie um diese Zeit rausgehen und kaum was anhaben?«
    »Das hier trage ich auch, wenn ich sie besuche. Und sie scheinen nichts dagegen zu haben.« Dann fügte sie hinzu: »Was ich anhabe, ist völlig normal«, obwohl sie im Augenblick wünschte, sie hätte ihren Jogginganzug anstatt T-Shirt und kurzer Shorts.
    Dexters Augen waren bleiche Kleckse, doch Vicki sah, wie sich sein Kopf auf und ab bewegte, als er sie von oben bis unten begaffte. »Sie schreien geradezu nach Vergewaltigung«, sagte er.
    »Ich muss jetzt los«, sagte sie und hasste den dünnen Klang ihrer Stimme. Du solltest ihm sagen, er soll sich verpissen, dachte sie. Sie stieß sich von der Wand ab und wandte sich zum Gehen.
    »Ich rede noch immer mit Ihnen, Miss Chandler.«
    » Doktor Chandler.«
    »Wie auch immer. Zeigen Sie ein wenig mehr Respekt und hören Sie zu.«
    Sie drehte sich mit gerunzelter Stirn zu ihm um.
    »Sie waren lange Zeit weg und wissen deshalb nichts über eine bestimmte Sache, die zudem auch nicht an die große Glocke gehängt wurde. Niemand will die Menschen beunruhigen. Tatsache ist, dass allein in den letzten acht oder zehn Monaten ein halbes Dutzend junger Frauen verschwunden ist, ohne dass die geringste Spur von ihnen gefunden wurde. Und das sind nur die, die als vermisst gemeldet wurden. Könnten eine Menge mehr sein, von denen wir keine Ahnung haben. Also denken Sie daran, ehe Sie rausgehen und zu nachtschlafender Zeit in Ihrer Unterwäsche auf der Straße rumhopsen.«
    »Danke«, sagte sie. »Ich werde besonders vorsichtig sein. Kann ich jetzt gehen?«
    »Machen Sie, was Sie wollen.«
    Sie drehte sich um und ging, wobei sie sich zwang, nicht zu schnell davonzulaufen. Als sie die Lobby erreichte, warf sie einen Blick über die Schulter zurück. Dexter war auf den Korridor getreten und sah ihr nach.
    Sie zog die Glastür auf und trat ins Freie. Es war ein warmer Sommermorgen, doch sie fröstelte.
    Vielen Dank, du alter Stinker, dachte sie.
    Die Neuigkeit über die verschwundenen Mädchen beunruhigte sie ein wenig, aber nicht sehr. Sie hatte sich nie vorgemacht, Ellsworth sei vollkommen sicher. Kein Ort war sicher, vor allem nicht für Frauen.
    Was sie wütend machte, war die Art, wie Dexter ihr aufgelauert hatte.
    Hatte er auf sie gewartet? Woher wusste er, dass sie vorbeikommen würde?
    Widerling.
    Sie machte ihre Aufwärmübungen gerne auf der breiten Treppe des Mietshauses. Doch Dexter konnte in die Halle geschlendert sein und sie durch die Glasfront beobachten, deshalb trottete sie die Stufen hinunter und trabte den Gehweg Richtung Center Street hinab.
    Sie fragte sich, ob er es sich zur Gewohnheit machen würde, auf sie zu warten.
    Es gab keine andere Möglichkeit, das Haus zu verlassen. Sie musste an seiner Tür vorbei. Der einzige andere Ausgang lag zwar genau an ihrem Ende des Korridors, war jedoch mit einem Alarm verbunden, der ausgelöst wurde, sobald man die Tür öffnete.
    Sie erreichte die Ecke der Straße und sah sich um. Wenigstens war ihr Dexter nicht gefolgt. Der Gehweg, grau im trüben Licht der Straßenlaternen, war leer, abgesehen von einer Katze, die kurz vor der nächsten Querstraße saß und mit den Pfoten ihr Gesicht putzte.
    Bevor sie anfing, sich aufzuwärmen, spähte Vicki prüfend in alle Richtungen.
    Das tue ich immer, beruhigte sie sich. Das hat nichts mit Dexters Warnung zu tun.
    Zufrieden, dass niemand in der Nähe lauerte, begann sie, Rumpfbeugen zu machen und mit den Fingerspitzen ihre Zehen zu berühren.
    Ich werde mir das nicht von ihm gefallen lassen,

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