Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
bestätigte Melibocus.
„Du verarschst mich? Oder hat der Vater das Kind ausgetragen? Wer weiß, was sich seit Moses noch so alles geändert hat.“
„Nee, der Vater hat mit seinen Freunden einfach nur die Geburt des Stammhalters gefeiert. Vielleicht ein bisschen zu ausgiebig. Bier. Viel Bier. Jedenfalls hat man ihn dann zusammen mit seinem Motorrad vom Mähdrescher kratzen müssen.“
„Und Sebastian ist dann von seinem Onkel großgezogen worden?“
„Ja. Von Rüdiger deWitte. Die Mutter hat’s nämlich auch nicht mehr lange gemacht.“
„Was du so alles weißt.“
„Was du so alles
nicht
weißt. Vielleicht jetzt einen Kaffee?“
Herr Schweitzer warf einen Blick durch die Scheibe. Inzwischen führte der Ganges Hochwasser. Braun schossen die Fluten durch die Wallstraße. Es goss weiterhin in Strömen. Das Frankfurter Kanalisationssystem ächzte und stöhnte unter der Belastung. „Gerne, schwarz mit Zucker, bitte. Und, sind sie noch zusammen? Ich meine Helena und Sebastian?“
„Wo denkst du hin? Quatsch. Das war vor zwei Jahren. Rüdiger deWitte hat schon dafür gesorgt, dass da nichts mehr läuft. Die Laranikova sollte sich doch auf ihre Karriere konzentrieren. Hat ja auch geklappt. Siehe Wimbledon. Hier, dein Kaffee.“
So schnell wie es gekommen war, so schnell war es auch wieder vorüber. Durch das Gewitter hatte sich die Luft gereinigt. Das Atmen fiel leichter.
Auch wenn der Fall für Herrn Schweitzer im Prinzip noch gar kein Fall war, hatte er beschlossen, mal bei Sebastians Solitär vorbeizuschauen, einfach um Atmosphäre zu tanken, wie er sich bei solchen Gelegenheiten auszudrücken pflegte. Geradewegs so, als könnte ihm allein der Anblick des Namensschildes am Briefkasten alle Fragen beantworten. Natürlich war dem nicht so, auch wenn die goldene Gravur auf mattschwarzem Untergrund recht hübsch daherkam. S. deWitte war zu lesen. Er klingelte ohne Erwartung. Niemand meldete sich. Wäre ja auch noch schöner gewesen, sagte er sich. Trotzdem befand er sich irgendwie im Aufwind. Nur so ein Gefühl, das ihn manchmal bei der Detektivarbeit überwältigte und schon oft in der Vergangenheit ein gutes Zeichen gewesen war.
Da er eh nichts Besseres zu tun hatte, beschloss er, sich auf eine Bank am Mainufer zu setzen und den Eingang im Auge zu behalten. Obendrein befand sich die Bank optimal im Schatteneiner Platane mit üppiger Krone. Von hier aus entging ihm nichts. Alle das Haus verlassenden oder ankommenden Personen konnten unauffällig beobachtet werden. Das war gar nicht mal so verkehrt, denn meist wohnte man nicht umsonst dort, wo man wohnte. Die Art der Nachbarschaft ließ auch Rückschlüsse auf einen selbst zu.
Nach einer Weile des Guckens begann Herr Schweitzer zu philosophieren. Wie bei fast allen anderen Menschen, so geschah das auch bei ihm regelmäßig in Zeiten des Müßiggangs. Erstens: Zeit ist nur dadurch, dass etwas geschieht, und nur dort, wo etwas geschieht. Ernst Bloch. Zweitens: Wo ich nicht bin, ist nicht. Allerdings: Obwohl er hier war, passierte nichts. Oder fast nichts. Lediglich ein Junge hatte Reklame eingeworfen, von Hausbewohnern seit einer halben Stunde keine Spur. Der Solitär schien unbewohnt. Gut, es war Nachmittag und Arbeitszeit. Aber trotzdem. In den beiden rechts und links flankierenden Solitären herrschte ein reges Kommen und Gehen. Nur bei seinem nicht. Schon merkwürdig. Aber so war das nun mal mit der Detektiverei, vieles lief ins Leere. In Büchern wird ja immer nur das Geschehen beschrieben, nicht die Abstinenz von Geschehen. Also war es richtig: Zeit ist dadurch, dass etwas geschieht. Er, Herr Schweitzer, hatte bislang die seine vergeudet, weil nichts geschah.
Aus diesem Grunde erlöste er sich nach einer Stunde von seinem Schattendasein. Auch wenn Schlafes Bruder der Tod ist, zog es Herrn Schweitzer zu seinem obligatorischen Mittagsschläfchen. Warten macht eben schläfrig.
Dora loca
Verlassen wir nun den Sachsenhäuser Gelegenheitsdetektiv, um uns dorthin zu begeben, wo etwas passierte. Nach Ernst Bloch: zum Zeitgeschehen.
Denn während Herr Schweitzer friedlich vor sich hin schlummerte,war man im PP nicht nur zu Potte gekommen, das sowieso, nein, man hatte auch in der Causa Sebastian deWitte einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Zwar hatte man den Gesuchten noch immer nicht aufgespürt, dafür aber dessen momentane Freundin.
Und hierbei hatte der viel zitierte Kommissar Zufall seine Hände im Spiel gehabt. Es war nämlich die letzte
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