Das Grauen im Bembelparadies (German Edition)
Herr Schweitzer, könne sich nicht vorstellen, was für eine abgedrehte Tussi das sei.
Er tauschte die Turnhose gegen eine Jeans, gab Maria einen Kuss und machte sich auf die Socken.
In der sozialen Begegnungsstätte Weinfaß war, wie meistens montags, kaum was los. Außer der Wirtin Bertha war jedoch ein Fremder anwesend. Er hockte an einem als Tisch umfunktionierten Weinfass – daher der Kneipenname, noch in alter Rechtschreibung – und starrte lethargisch vor sich hin. Fremde verirrten sich nur äußerst selten hierher. Das war früher anders. Aber früher hatten die Leute auch noch Zeit. Heute bestimmt die Arbeit dasFreizeitverhalten. Unbezahlte, vom Arbeitgeber inzwischen obligatorisch erwartete Überstunden reduzierten den persönlichen Freiraum auf ein Minimum. Nicht umsonst ist in dieser Bananenrepublik statistisch gesehen inzwischen jeder Sechste mit seiner Arbeit kreuzunglücklich. Tendenz zunehmend. Daran wird sich auch bis zur nächsten Revolution nichts ändern. Ganz im Gegenteil, beschissener geht immer. Die Zeichen stehen schon lange auf Sturm. Und, anders als früher, würden einer neuen RAF von der Bevölkerung dermaßen viele konspirative Wohnungen zur Verfügung gestellt werden, dass man jeden Tag in einer anderen Unterschlupf finden könnte. Der Staat – das sind schon lange nicht mehr wir – käme mit den Hausdurchsuchungen gar nicht mehr nach.
Mischa traf eine Viertelstunde nach ihm ein. „Gude. Dein Wein sieht aber gut aus. Was ist das für einer?“
Herr Schweitzer deutete auf die Schiefertafel an der Wand, wo jede Woche ein anderer Rebensaft als Wein der Woche angepriesen wurde.
„Hm. 2011er Cuvée Prestige Merlot. Hört sich klasse an. Den nehme ich auch. Bertha!“
Natürlich war Herr Schweitzer gespannt wie ein Flitzebogen. „Babbel! Sebastians Freundin …“
Und der Oberkommissar babbelte. Detailgetreu schilderte er die Vernehmung von Dora Rutke.
Und Herr Schweitzer hatte ein Déjà-vu. Er dachte an die Bangladesch-Erscheinung aus dem Bembelparadies. „Dora Rutke hat nicht zufällig so eine hochgesteckte Frisur und läuft in Jesuslatschen rum?“
Mischa nippte an seinem Glas. „Hä? Nein, wie kommst du drauf?“
„Ach, nur so. Mir ist heute so eine komische Frau über den Weg gelaufen. Die wollte bei Moni einen orangenen Bembel in Auftrag geben.“
„Orangener Bembel? Sind Bhagwans Jünger jetzt auch auf den Geschmack gekommen?“
Süffisant entgegnete Herr Schweitzer: „Vielleicht sind deren Mantras inzwischen ausgelutscht und müssen durch Ebbelwoi gepuscht werden. Du weißt ja, die Drogendosis muss ständig erhöht werden, sonst ist die Wirkung futsch.“
Der Oberkommissar nahm einen kräftigen Schluck, schloss die Augen und probierte es aus: „Brezeln, Hartekuchen, Makronen. Omm. Brezeln, Hartekuchen, Makronen. Omm.“ Wer je Gast in Sachsenhäuser Ebbelwoi-Lokalen war, weiß, dass es sich hierbei um die von den Brezelbuben angepriesene Ware handelte. Ohne das Omm, natürlich. „Brezeln, Hartekuchen, Makronen. Omm. Brezeln, Hartekuchen, Makronen. Omm.“
Gewöhnlich war Herrn Schweitzer wenig peinlich. Doch was sein Freund hier abzog, veranlasste ihn dazu, verstohlen zu dem fremden Gast zu linsen. Was mochte der wohl denken?
Offenbar war dieser aus seiner Lethargie erwacht und schaute seinerseits herüber. Mit Augen, als könne er nicht glauben, was er sah und hörte.
„Brezeln, Hartekuchen, Makronen. Omm.“ Zu den geschlossenen Augen kamen nun auch noch die mittels Daumen und Mittelfinger zu einem O geformten Meditationsinsignien hinzu.
Der Gast legte einen Zwanzig-Euroschein auf das Fass und suchte sein Heil in der Flucht. Ohne auszutrinken.
„Siehste, Mischa, den hast du jetzt verscheucht.“
„Na ja, so wie der aussah, wollte er sich wahrscheinlich umbringen.“
„Nachdem er jetzt dich kennenlernen durfte, besteht vielleicht kein Anlass mehr dazu.“
„Ganz im Ernst, Simon, denkst du nicht manchmal auch daran, einfach die ganze Selbstbeherrschung abzustreifen und dich wie ein Bekloppter zu benehmen? Ich werde tagtäglich damit konfrontiert und so langsam habe ich das Gefühl, die lachen sich tot über uns Normalos.“
Herr Schweitzer musste zugeben, dass auch er zeitweilig daran dachte, sich dem Siegeszug der Idioten anzuschließen. „Hm,Mischa, aber was ist, wenn die dich dann auf ewig einschließen? Das wäre mir persönlich zu riskant. Der Fraß in solchen Heimen soll ja nicht gerade von Sterneköchen zubereitet werden. Vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher