Das Grauen in den Bergen
Himmel, der jedem, der ihn sah, wie das schönste Ding erschien, das jemals existiert hat. Und jenem Stein wohnte eine fürchterliche Macht inne.«
1735 : William gelingt es, mithilfe einiger bezahlter Söldner die Nipmuck (ein in der Gegend heimischer Indianerstamm) aus der Bergregion zu vertreiben. Obwohl er nie ein guter Stratege war, zeigt er nun großes Geschick beim taktischen Planen. Quellen berichten, dass er generell sehr intelligent ist und über ein geradezu enzyklopädisches Wissen verfügt. Einige der strenggläubigen Christen halten ihn für einen Hexer. Seltsam, da in den englischen Büchern von William immer als »der Friedvolle« beziehungsweise »der Gemächliche« oder gar »der Langsame« die Rede ist. Entweder hat er dafür gesorgt, dass er in einem besseren Licht dasteht oder er hat sich fundamental verändert … aber wie? Nipmuck haben seit jenen Jahren eine Legende, die von dem »weißen Mann mit der Feuerkrone« handelt. Ob das mit dem Stein zu tun hat, den William aus England herausschmuggelte?
1737 : Williams Frau flieht mit ihren beiden Söhnen. Nicht viele Aufzeichnungen aus dieser Zeit vorhanden, allerdings steht im Tagebuch einer Zofe: »Die Frau Gräfin erzählt‘ mir von einem fürchterlichen Ding. Der Graf sei zu jenem Ding geworden und sie könne keinen Tag länger in seiner Gegenwart verbleiben. Ich sucht‘ sie zu beruhigen, doch mich deucht, ihr Geist ist unrettbar verwirrt.«
William fällt es immer schwerer, Personal zu finden. Claire hat Berichte entdeckt, die belegen, dass immer wieder Angestellte des Grafen verschwinden. Stein wird niemandem mehr gezeigt und auch William zieht sich mehr und mehr zurück. Fertigt verrückte Zeichnungen an, die aber auch voller Genialität sind. Leider kaum etwas davon erhalten. Wirken wie eine Mischung aus Kubismus und Expressionismus. Dörfler fürchten sich davor. Hexer-Gerüchte halten sich hartnäckig.
1742 : Kaum noch Aufzeichnungen vorhanden. Menschen haben die Gegend entweder verlassen, arbeiten für William oder können nicht schreiben. Zeitungsartikel aus »Gazette« erwähnt großes Bauprojekt in den Bergen. William schafft es, die Bevölkerung des Dorfes an sich zu binden. Wie genau er das macht, ist nicht ersichtlich. Aber alle haben Angst vor ihm.
1749 : Das »Ding« ist fertig. William geht hinein und wird nie wieder gesehen. Schreibt einen letzten Brief an seine Frau. Sie liest ihn, erleidet einen Schwächeanfall und stirbt. Weist Söhne auf dem Totenbett noch an, den Bergen um jeden Preis fernzubleiben. Dorfbewohner fortan sehr verschlossen und noch einsiedlerischer. Es kursieren Geschichten, die besagen, dass Wald und Berge verflucht sind.
1750 : Ein hundert Mann starker Trupp der englischen Armee gelangt in die Berge. Was sie dort wollen, steht nirgends geschrieben. Für uns ist klar, dass sie den Stein suchen. König hat nie aufgehört, ihn zu begehren. Soldaten marschieren zu William, kehren aber nie zurück. Keine Erwähnung mehr in Büchern. Angehörige werden nie benachrichtigt. König versucht danach niemals wieder, William anzugreifen. Tagebuch der Königin vom 08.06.1750: »Mein Gatte erhielt Kund aus den Kolonien, und was ihm mitgeteilt ward, stürzt‘ ihn in tiefe Sorge. Niemals hab ich ihn so erblicket, mit Augen groß wie Seen und einer Haut von schlohweißer Farbe. Er war dazu angetan, einen jeden zu ängstigen.«
***
Ich war wie im Fieber, während ich las. Allein diese ersten Seiten enthielten eine solche Fülle sowohl eindeutiger als auch unterschwelliger Informationen rund um meine Familie und ein düsteres Geheimnis, in das sie verstrickt war, dass sich mir die Nackenhaare aufstellten.
Vater erwähnte mehrmals eine »Claire«. Ein wohlklingender Name, der mir zu der hübschen, so warmherzig lächelnden Frau auf dem Foto zu passen schien. Ich war mir sehr sicher, dass damit meine Mutter gemeint war. Nun kannte ich also die Namen beider Elternteile: Frederick und Claire.
Aber was hatte mein Urahn William getan? Niemals zuvor war etwas von den erwähnten Geschehnissen an mein Ohr gedrungen, noch nicht einmal andeutungsweise. Eine Angelegenheit, in die das englische Königshaus verwickelt war, in deren Verlauf ganze Regimenter verschwunden waren und die einen so tiefen Argwohn bei der ländlichen Bevölkerung hervorgerufen hatte, hätte zumindest in Form von Sagen und Mythen die Zeiten überdauern müssen. Doch mir war nichts dergleichen bekannt. Falls der Bericht meines
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