Das Grauen in den Bergen
zwischen all den unterschiedlichen Studiengebieten herzustellen.
Ich schob mich zum Schrank vor, wobei mir der Geruch des Papiers in die Nase stieg. Muffig zwar, aber auch betörend und voller Verheißung. Ich griff nach den Knäufen und zog die Doppeltür auf. Neben mehreren Spinnen inklusive Netzen begrüßten mich allerlei rätselhafte Dinge. Da waren ein Bergbauhelm samt Grubenlampe, mehrere Paar Stiefel, verschiedene Schaufeln, Spaten und Spitzhacken, Mäntel, Regenjacken, eine Kamera nebst dreibeinigem Stativ, zahlreiche Fotoplatten, Hammer und Meißel, eine nicht unerhebliche Menge Bargeld sowie ein Jagdmesser, eine Flinte und mehrere Schachteln voll Munition. Es wirkte wie der Ankleideraum eines Archäologen, der sich anschickte, in ein Kriegsgebiet zu reisen.
Ich verschloss den Schrank wieder und begab mich zum Schreibtisch, der zwischen den Büchern klemmte wie ein Essensrest in den Zähnen eines Riesen. Mit Mühe zwängte ich mich auf den Stuhl. Ein klaustrophobisches Gefühl beschlich mich, wurde mein Kopf nun doch beiderseits von gebundenem Papier bedrängt. Ich stellte die Lampe ab und sah mich prüfend um. Direkt vor mir lag ein Foliant, daneben stand ein Tintenfass samt Füller. Ich schlug das ledergebundene Buch auf und hielt fasziniert den Atem an, als mir ein handschriftlicher Text entgegensprang. Obwohl ich kein Graphologe bin, erkannte ich das Schriftbild sofort. Was auch immer das Buch beinhaltete, es war von meinem Vater verfasst worden!
Allerdings vermochte ich dem Text ansonsten nicht viel zu entnehmen, denn er war in einer mir unbekannten Sprache geschrieben. Mit lateinischen Lettern zwar, aber dennoch völlig unverständlich für mich. Frustriert ließ ich die Seiten durch meine Finger gleiten und legte das Buch zunächst wieder zur Seite.
Ich öffnete die Schubladen des Schreibtischs und fand darin eine große Anzahl zusammengerollter, großformatiger Papiere. Einige der Rollen zog ich hervor, um die Schlaufen zu öffnen, mit denen sie zusammengehalten wurden. Ich starrte lange auf das, was sich mir darbot. Es schien sich größtenteils um Schaltpläne und architektonische Zeichnungen zu handeln, allerdings entzog sich mir der tiefere Sinn jener Blaupausen. Verworrene geometrische Formen waren ineinander verschachtelt und stapelten sich übereinander, schienen mittels gelenkiger Verbindungen in Kontakt zu stehen und irgendwie doch nicht zueinander zu gehören. Es gab auch Darstellungen, die bizarre Apparate und Maschinen zeigten, Gerätschaften, wie ich sie nie zuvor erblickt hatte. Andere Zeichnungen stellten Landkarten dar, auf denen mit Kreuzen bestimmte Punkte markiert waren. Die Höhenlinien deuteten an, dass sich das Gelände im Gebirge befand. Es sah alles sehr präzise aus und war zweifelsohne von einem leistungsfähigen Verstand unter Befolgung ganz bestimmter Gesetzmäßigkeiten zu Papier gebracht worden, nur leider war mir die Natur jener Gesetzmäßigkeiten völlig unklar.
Mir schwirrte der Kopf. Der Brief meines Vaters, das Erbe, Mrs. Pickmans Gerede, dieser geheime Raum, die Bücher, die Ausrüstung, die merkwürdigen Pläne … welchen Sinn ergab das alles? Wie hingen die Ereignisse zusammen? Was hatten meine Ahnen getrieben? Und weshalb durfte ich nichts davon erfahren?
Mit einem Seufzen griff ich nochmals nach dem handgeschriebenen Buch. Diesmal öffnete ich es ganz vorne … und ließ einen Freudenschrei hören, als ich erkannte, dass dieser Teil des Textes lesbar war. Selbstverständlich stürzte ich mich darauf wie ein hungernder Wolf auf ein blutiges Stück Fleisch. Wie es schien, handelte es sich um eine Art Chronik:
***
1732 : Graf William von Coldlowe verlässt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion seine Ländereien. Nimmt nur einen Teil der Reichtümer, seine Familie und eine Handvoll Bedienstete mit. Geschichtsbücher vermelden, er sei beim König in Ungnade gefallen, weil er »edles Geschmeide vor ihm verbarg«. Dunklere Quellen berichten von einem »Stein, wie es ihn noch nie gegeben hat«, den der Graf einem seiner Bauern abgenommen haben soll. »Und weil der Mann den Stein nicht hergeben wollt, erschlug ihn der Graf. Als die Kund an des Königs Ohr drang, besah sich jener das Juwel und ward davon sofort in Bann geschlagen.«
William wollte sich scheinbar nicht von dem Stein trennen, also floh er in die neue Welt. Claire hat noch einen Hinweis auf die Geschichte gefunden, und zwar in Abdul Alhazreds Buch. Der Araber schreibt: »Und es fiel ein Stein vom
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