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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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wirbelte mich herum, saugte mich auf und würde mich nicht wieder loslassen, bis ich alles erfahren hatte. Ich verspürte weder Hunger noch Erschöpfung, sondern war nur beseelt von dem Drang, noch mehr über mein düsteres Erbe herauszufinden.
    Nachdem ich mich angekleidet und mir die Decke übergeworfen hatte, verließ ich mit großen Schritten das Haus. Meines Vaters Buch baumelte in einer Tasche über meiner Schulter – es erschien mir klug, es nicht unbeaufsichtigt zurückzulassen.
    Die gewohnte Düsternis hielt das Dorf in ihren kalten Klauen, außerdem fiel ein steter, grauer Nieselregen. Aufgrund der vielen Stunden, die ich mit der Öllampe in dem geheimen Zimmer verbracht hatte, blendete mich sogar das schwächliche Licht. Und noch etwas brachte mich aus dem Tritt: Die Schwingung. Sie war stärker geworden, volltönender und klarer. Ein beinahe elektrisches Geräusch, wie das Summen einer Stromleitung. Nur lockte einen das Geräusch elektrischen Stroms nicht. Diese Schwingung jedoch … ich musste meinen Kopf danach ausrichten. Und ehe ich mich versah, hatten meine Füße sich wieder in Bewegung gesetzt. Ich verließ den Weg, ging über Feld und Stein, hinein in den Wald und direkt auf den Berggipfel zu.
    Panik stieg in mir auf. War es meinem Urgroßvater Thomas so ergangen? War dies der Sog, der ihn immer wieder nach Osten hatte wandern lassen?
    Ich wollte stehenbleiben, umkehren und fortlaufen … wovor eigentlich? Was stand dort hinter dem Gipfel? Ein »Ding«, das William von Coldlowe hatte errichten lassen, das viele Menschen getötet haben sollte und das mein Großvater nicht hatte sprengen können? Was sollte das sein? Als gebildeter, moderner Mensch konnte man dergleichen kaum glauben. Ich war mir sicher, dass es für sämtliche Phänomene rund um den Berg und das Dorf natürliche Erklärungen gab. Und dennoch hatte ich Angst. Das Gefühl, von einer fremden Macht gelenkt zu werden, war absolut entsetzlich. Der Schweiß brach mir aus den Poren, so sehr bemühte ich mich, die Kontrolle über meinen Körper zurückzuerlangen. Und immer noch summte und brummte das merkwürdige Geräusch. Es schien sich langsam zu verändern, gewann Höhen und Tiefen, wurde beinahe melodisch und sickerte weiter und weiter in meinen Verstand. Hatte nicht Richard noch im Sterben gekrächzt, dass er etwas »singen« hörte?
    Sämtliche meiner Muskeln verkrampften sich. Ich bekam sie nicht dazu, meinen Befehlen zu gehorchen. Ein gurgelnder Laut erscholl. Nach kurzer Zeit wurde mir klar, dass er aus meiner Kehle drang. Das Summen wurde angenehmer, ja beinahe lieblich. Es begann, mir zu gefallen. Wie von fern hörte ich eine Stimme, verstand jedoch keines der besorgten Worte. Das Geräusch schneller Schritte war mir ebenso egal wie das Knacken von Ästen ganz in meiner Nähe. Ich lauschte der Musik, dem Gesang. Dem Lied, das mich zu meiner Bestimmung geleiten würde …
    Plötzlich spürte ich eine dumpfe Erschütterung. Weiße Blitze erstrahlten vor meinen Augen, ehe alles in Schwärze versank.
     
    ***
     
    Mein Schädel brummte, als ich wieder zu mir kam. Aber es war ein begrüßenswertes Brummen, hervorgerufen durch eine Beule an meinem Hinterkopf. Die Schwingung war verstummt. Obwohl ich mich alles andere als gut fühlte, atmete ich erleichtert auf.
    »Zum Glück ham Se den Dickschädel ihrer Familie. Ich dacht‘ schon, ich hätt‘ Ihnen mit meinem Knüppel das Hirn zu Mus geklopft.«
    Mrs. Pickman. Ich lag wieder auf ihrer Bank. Holzscheite knallten im Kamin, während Flammen sie zerfraßen.
    »Was … was haben Sie getan?«
    »Sie gerettet, das hab ich.« Sie rümpfte die Nase. »Obwohl Sie’s eigentlich nich‘ verdient hätt‘n.«
    Mit einem Mal schämte ich mich sehr. Das eigene Verhalten, noch an diesem Morgen an den Tag gelegt, war mir unerklärlich.
    »Bitte vergeben Sie mir«, stammelte ich. »Was auch immer mich vorhin gepackt hielt, es ist fort.« Mir kam eine Idee. »Wären Sie vielleicht so freundlich, mir meine Medikamente zu bringen? Sie liegen …«
    »Hab Ihnen das Zeug schon eingetrichtert. Und wegen heut‘ Morgen: Entschuldigung angenomm’n. Aber tun Se mir nen Gefallen und lassen Sie’s jetzt gut sein. Dieser Ort hat all Ihre Vorfahr‘n gekriegt und auch Sie hätt‘ er vorhin fast gehabt. Geh’n Se, solang‘ Sie noch können.«
    Selbstverständlich hatte sie recht. Ob man den Berichten in der Chronik nun Glauben schenkte oder nicht, dieses Dorf hatte alles andere als einen positiven Einfluss

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