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Das Grauen in den Bergen

Das Grauen in den Bergen

Titel: Das Grauen in den Bergen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Ink
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hatte. Die Nacht vor dem Fenster wich zunächst einem kaum wahrnehmbaren Burgunder, dann wandelte sie sich in prächtiges Scharlach, bevor sie mir in klarstem Zinnober entgegenschlug. Fettiger, dunkler Rauch zog in unregelmäßigen Schwaden vorbei und nahm meine letzten Hoffnungen mit sich.
    Es zerriss mich fast, so sehr tobte der Verlust in mir. Irgendwann gestand ich mir schweren Herzens ein, dass alles fort war. Welche Geheimnisse das Buch und die Blaupausen bereitgehalten haben mochten, nun würde ich sie niemals mehr erschauen. Eben war ich noch Teil von etwas Großem gewesen, jetzt befand ich mich wieder in der Gosse, auf Höhe des unwissenden, engstirnigen Pöbels. Die Erbschaft vermochte mich nicht zu trösten. Selbst die Spur von Erlösung, die mich angesichts des unfreiwilligen Endpunkts erfasste, verdampfte auf meiner Frustration.
    Ich hätte froh sein müssen, denkst du? Erleichtert, dem Ding entronnen zu sein, wenn auch unfreiwillig? Du hast selbstverständlich recht, meine Liebste. Doch du übersiehst eines. Ein Gedanke, bei dessen Lektüre du mich endgültig für verrückt erklären wirst, solltest du das nicht bereits getan haben. Als er mir in jener Nacht kam, stahl sich ein schiefes Grinsen auf meine Züge.
    »Wieso das Wunder des Steins nicht trotzdem enträtseln?«, fragte ich mich. »All die Informationen, die du bisher gesammelt hast … die müssen doch zu etwas nütze sein. Vergiss die Aufzeichnungen – alles, was du benötigst, hast du im Kopf und im Herzen!«
    Ja, so wollte ich es anpacken. Ich würde abwarten, mich losbinden lassen und dann schnurstracks um den Berg herumgehen und mich dem stellen, was mich dort erwartete. Es sang wieder zu mir. Diesmal waren die Klänge noch betörender, noch schöner. Als habe sich meine eigene Schwingung daran angeglichen und vibrierte nun im Einklang mit dem fremden Schall. Ich schloss die Augen und genoss das Konzert, während das Orchester von immer mehr Instrumenten ergänzt wurde. Der Drang kehrte wieder, kaum beherrschbar und stetig zunehmend. Als wisse das Ding, dass es mich beinahe verloren hätte. Wieso sollte man sich vor etwas so Wundervollem fürchten? Es würde mich aufnehmen und erleuchten. Wenn ich erst bei ihm angelangt war, würde sich meine Bestimmung erfüllen.
    Als Mrs. Pickman das Haus betrat, zerrte ich bereits wie wild an meinen Fesseln und zerriss die Laken mit den Fingernägeln.
    »‘s ist getan«, verkündete sie. »Ich dacht‘ schon, das Feuer würd‘ auf ein and’res Haus übergreifen, aber der Wind ist gottlob schwach heut‘ Nacht.«
    »Machen Sie mich los!«, befahl ich. Mein Körper war schweißgebadet und ich fühlte mich fiebrig. Alles, woran ich denken konnte, war das Ding. Ich musste zu ihm, es saugte wie ein Tornado an mir. »Nun machen Sie schon, Sie Teufelsweib!«
    Sie schüttelte den Kopf. »Oweh, und ich dacht‘, es wär‘ nun besser. Wie’s aussieht, brauchen Sie noch ‘ne Tasse.«
    Sie schlurfte hinaus und ich brüllte ihr hinterher: »Nein, ich muss hinaus! Ich muss zu ihm, muss es sehen und mich mit ihm vereinen!«
    Die Alte kehrte mit einer brennenden Kerze und ihrer noch immer gefüllten Teetasse zurück. Das flackernde Licht wurde auf einem Tischchen platziert, dann kam sie zu mir herüber. »Machen Se freiwillig den Mund auf, sonst muss ich Sie zwing’n.«
    »Niemals, sie verdammte Hexe, auf keinen Fall werden Sie mir noch einmal …«
    Ihre Hand schoss mit ungeahnter Geschwindigkeit vor und umschloss meinen Mund. Die Spitzen der knochigen Finger bohrten sich beiderseits in die Kaumuskulatur. Der Schmerz war unerträglich, bereits nach wenigen Sekunden begann ich zu schreien. Mrs. Pickman hielt die Tasse über mich und kippte mir den Inhalt in das verzerrte Gesicht. Ich hustete und spuckte, wand mich, bäumte mich auf, würgte und versuchte zu brüllen: »NEIN! Nein, niemals! Nie …«
    Der Klammergriff wurde immer fester. Die Luft blieb mir weg, es war nur eine Frage der Zeit, bis ich schlucken musste. In meinen Wangen tobten irrsinnige Schmerzen, Tee brannte in den Atemwegen, mörderischer Hass durchströmte meine Adern.
    Und über allem lag die Schwingung, stärker als jemals zuvor. Alles durchdringend pulsierte sie über mich hinweg. Sie war nun so laut, dass ich meine eigenen Flüche nicht hören konnte. Ich sah, wie sich Mrs. Pickmans Augen weiteten. Ihr Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, schieres Entsetzen blickte auf mich herab. Boxer entleerte seine Blase auf den Boden. Der

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