Das große Buch der Lebenskunst
und flehend eure
Bitten mit Dank vor Gott!« (Phil 4,6) Er schreibt das aus dem Gefängnis. Er weiß nicht, ob er je wieder frei kommen wird. Aber Paulus weiß von der
Grundhaltung des Psalmisten. Der Mensch voller Sorgen soll seine Situation, um die er sich sorgt, im Gebet vor Gott bringen. Dann wird seine eigene Last,
seine eigene Not geringer. Dann weiß er sich von Gott getragen, selbst wenn er im Kerker sitzt und um sein Leben fürchten muss. Dieser Brief des Paulus
spricht uns über die Jahrhunderte hinweg unmittelbar an: Wir sollen über unsere Situation nicht einfach hinwegsehen. Doch wir sollen uns auch nicht darauf
fixieren und immer nur darum kreisen. Indem wir sie vor Gott bringen, hören wir auf, uns um uns zu sorgen.
Ärgere dich nicht
S orgen machen Stress. Aber hinter mancher Sorge um andere Menschen, die als Ärger daherkommt, steckt oft
etwas anderes. Als man den Stressforscher Derek Roger fragte, wie man Ärger vermeiden oder vom Ärger frei werden könne, antwortete er: »Die Erkenntnis,
dass eigentlich nichts wichtig genug ist, sich darüber aufzuregen.« Ich kenne Menschen, die sich ständig über andere aufregen. Da ist eine Frau, die sich
über ihre Kollegin aufregt, weil sie heute dieses Kleid anhat, und über eine andere, weil sie diese Frisur trägt. Die Aufregung ist unbegründet. Die
Kollegin darf doch dieses Kleid anhaben und die andere ihre Frisur. Wenn ich mich aufrege, hängt es immer mit dem eigenen engen Herzen zusammen. Ich bin
nicht bei mir, sondern bei den anderen. Neulich schrieb mir jemand voller Vorwürfe, weil ich mich nicht über einen Satz eines bestimmten Psychologen
empören würde. Er war offensichtlich der Meinung, dass ich mich über alles empören müsse, was nicht meiner Meinung entspricht. Gegen diese Unkultur der
ständigen Empörung setzen die Weisen aller Welt auf die Erkenntnis, dass wir bei uns selbst bleiben und die anderen lassen, wie sie sind.
Der Fehlerfriedhof
W ir kreisen in unseren Gedanken oft um die Fehler der anderen. Wir regen uns auf, wenn ein Freund unseren
Geburtstag vergisst oder wenn er im Gespräch nicht richtig zuhört. Wir können dann tagelang über unsere Verletztheit reden und uns immer mehr
hineinsteigern in den Ärger über den unsensiblen Freund oder die treulose Freundin. Ein wichtiger Aspekt des Loslassens ist das Verzeihen: Anstatt dem
anderen seine Fehler nachzutragen, vergeben wir sie, lassen wir sie los, lassen wir sie bei ihm. Henry Ward Beecher, ein amerikanischer Geistlicher, der
sich auch sehr aktiv für die Abschaffung der Todesstrafe in seinem Land eingesetzt hat, hat die heilende Wirkung des Verzeihens in einem schönen Bild zum
Ausdruck gebracht: »Jeder Mensch sollte einen nicht zu kleinen Friedhof besitzen, auf dem er die Fehler seiner Freunde begräbt.« Was begraben ist, sollen
wir im Grab lassen und nicht ständig darin herumwühlen. Manchmal träumen wir vom Grab. Das ist immer eine Mahnung, sich von Altem zu verabschieden und
loszulassen.
Einladung
W ir meinen in aller Regel, der andere sei schuld, wenn wir uns über ihn ärgern. Der jüdische Rabbi
Charles Klein dreht die Perspektive um – auf uns selber: »Jeder, der dich ärgert, besiegt dich.« Dass wir uns über einen anderen ärgern, können wir kaum
verhindern. Aber wenn wir dem Ärger in uns zu viel Raum lassen, geben wir dem anderen Macht über uns. Der andere bestimmt unsere Stimmung. Wir lassen uns
von ihm besiegen. Es hat wenig Sinn, den Ärger zu unterdrücken. Manche wollen ihren Ärger sofort loswerden. Aber was ich loswerden will, das wird mich
nachträglich verfolgen. Auch hier geht es darum, loszulassen. Loslassen kann ich aber nur, was ich angenommen und angeschaut habe. Wenn ich den Ärger
bewusst wahrnehme, dann kann ich mich auch von ihm distanzieren. Ich beschimpfe meinen Ärger nicht. Ich schaue ihn an und spreche mit ihm: »Da bist du
wieder. Ich kenne dich. Du regst dich auf über den anderen. Lass ihn doch. Er darf doch so sein, wie er ist. Lebe du jetzt in diesem Augenblick ganz für
dich.« So wird der Ärger eine Einladung, mich selber zu spüren und ganz im Einklang mit mir zu sein.
Wie der Vogel singt
V iele junge Menschen leiden heute an Perspektivlosigkeit. Das hat auch seelische
Konsequenzen. Depressionen nehmen gerade bei Jugendlichen immer mehr zu. Johannes Bosco war ein charismatischer Seelsorger, ein Freund gerade
»schwieriger« Jugendlicher im Turin des 19.
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