Das große Buch der Lebenskunst
sein, der beste, der spirituellste,
der intelligenteste Mensch zu sein. Giuseppe Roncalli, der spätere Papst Johannes XXIII., hat diese Versuchung, an Illusionen festzuhalten, offensichtlich
auch gekannt. Aber er hat für sich ein Gegenprogramm entwickelt: »Das Bewusstsein meiner Unzulänglichkeit erhält mich in der Einfachheit und erspart es
mir, lächerlich zu werden.« Und ein anderes Mal spricht er sich selber an: »Giovanni, nimm dich nicht so wichtig!« In solchen Sätzen spüren wir eine
erlösende Menschlichkeit. Er war, von außen betrachtet, in hohen Würden. Aber er musste sich nicht anstrengen, das Ideal der Gelassenheit und Einfachheit
zu erfüllen. Das Wissen um seine eigene Unzulänglichkeit hat ihn von alleine zu dieser Einfachheit und Klarheit geführt. Wer um sich weiß und sich von
Illusionen verabschiedet, der ist vor der Gefahr geschützt, lächerlich zu werden, sobald diese Illusionen von anderen zerstört werden.
Sag einfach, was du denkst
W er sich sorgt ist angespannt. Das muss nicht unbedingt ein großes Problem sein, das »auf die Schultern
drückt«. Ich kenne viele Menschen, die nicht entspannt und froh in ein Gespräch gehen können. Immer setzen sie sich unter Druck. Sie meinen, sie müssten
im Gespräch gut abschneiden. Sie müssten dem anderen beweisen, dass sie gebildet sind und über wichtige Themen etwas Entscheidendes zu sagen haben. Sie
fühlen sich gleichsam bei jedem Gespräch vor einem inneren Richter, der sie beurteilt, ob sie auch alles gut machen. Es ist eine solche Situation, in die
hinein Jesus sagt: »Macht euch keine Sorgen, wie ihr euch verteidigen und was ihr sagen sollt.« (Lk 12,11) Sag einfach, was du denkst, was aus deinem
Innern kommt. Du musst dich nicht verteidigen und rechtfertigen. Du darfst so sein, wie du bist. Trau deinem Gefühl. Wenn du nichts sagen möchtest, dann
höre einfach zu. Und wenn dir Worte kommen, die du gerne zum Ausdruck bringen möchtest, dann tu es. Aber befrei dich von deinem inneren Richter. Er kostet
dich zu viel Energie. Lebe einfach dein Leben.
In einer guten Hand
S orge tötet die stärksten Menschen.« So heißt es im Babylonischen Talmud, einer berühmten Sammlung
jüdischer Weisheiten. Es gibt eine Sorge, die uns auszehrt und verzehrt. Sie raubt uns alle Kraft. Wer sich zu viel Sorgen macht, der hat keinen Appetit
mehr. Er magert ab. Wir sehen es einem an, wenn er von Sorgen gequält wird. Aber gegen diese Sorge, die uns zu töten vermag, gibt es Heilmittel. In der
biblischen Tradition ist es das Vertrauen auf Gottes Fürsorge. Gott selbst sorgt für mich, also brauche ich mich nicht von den Sorgen verzehren zu
lassen. Und eine ganz konkrete Hilfe ist es, Gott meine Sorgen hinzu halten. Das Gebet bietet die Chance dazu. Dann lösen sie sich auf oder relativieren
sich zumindest. Im Gebet wächst das Vertrauen, dass ich mit meinen Sorgen in Gottes guter Hand bin.
Umarme deine Wut
Ä rger, Angst und Wut sind die größten Unruhestifter in unserem Herzen. »Umarme deine Wut« rät der
Zen-Meister Thich Nhat Hanh. Das ist leichter gesagt als getan. Doch wenn ich versuche, meinen Ärger oder meine Wut zu umarmen, kann sie sich nicht
ausbreiten und das ganze Herz besetzen. Ich umarme einen Menschen, wenn ich ihn liebe. Meine Wut zu lieben, ist nicht so einfach. Ein erster Schritt
besteht darin, dass ich meine Wut nicht verurteile und bewerte. Ich nehme sie in den Arm und schaue sie mir liebevoll an. Und ich beginne mit ihr ein
Gespräch: »Was willst du mir sagen? Warum bist du so wütend? Was hat dich verletzt? Welche Sehnsucht steckt in dir?« In so einem Gespräch, das ich ohne
Vorwürfe, sondern liebevoll führe, wird mir die Wut einiges über mich sagen. Wenn sie sprechen darf, wird sie nicht mehr grundlos wüten. Sie wird mich auf
wichtige Bereiche meiner Seele aufmerksam machen, die ich übersehen habe. Wenn ich die Wut umarme, gestatte ich ihr, dass sie sein darf. Und wenn sie sein
darf, braucht sie sich nicht mehr so lauthals bemerkbar machen. Sie wird mir zum Begleiter auf meinem Weg.
Wenn die Verzweiflung kommt
T h erese von Lisieux, die kleine Therese, gehört zu den großen Weisen unter den Heiligen. Sie ist schon
als junge Karmelitin gestorben. Sie hatte damals in einem Klima enger und Angst machender Spiritualität den Mut gefunden, für sich den kleinen Weg der
alltäglichen Liebe zu entdecken. Sie warf das ganze komplizierte spirituelle System, das man ihr
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