Das große Buch vom Räuber Grapsch
„Aber meine Kleider -", sagte Olli. „Vergiss sie", knurrte Grapsch. „Ich raub dir neue." In großen Schritten eilte er durch die Kornfelder auf den Wald zu. Diesmal bückte er sich nicht. Er war ja auch nicht zu sehen: Über den Ähren sahen die erstaunten Juckendorfer nur die rote Olli dahinschweben. Sie hatte ihr gelbes Kleid mit den vielen Rüschen über Grapschs Haar und Schultern gebreitet. Es war eine wundersame Erscheinung.
„Juhu!", rief Olli und winkte den Leuten auf den Feldern zu, „ich bin jetzt die Räuber-Olli!"
Inzwischen war die Tante wieder zu sich gekommen. Sie beugte sich aus dem Fenster und kreischte: „Zu Hilfe! Menschenraub! Der Grapsch war da! Er hat meine Olli geraubt!" Aber da waren Grapsch und Olli schon längst im Wald. Dort waren sie sicher.
Tassilolli oder: Fledermausdreck in der Suppe
Sie waren überglücklich. Sie tanzten an den Sümpfen entlang, wälzten sich im Gras zwischen den Blaubeersträuchern, schlugen Purzelbäume, ließen einander an Blumen riechen, bewunderten Schmetterlinge, sangen und lachten und badeten zusammen unter dem Wasserfall. Als es dunkel geworden war, bestaunten sie den Vollmond über dem Wald.
Olli nannte ihren Tassilo Lilienwischerle und Zackenbeißerchen und Jubelschleckerlein und erfand noch unzählige andere zärtliche Namen für ihn.
Er mühte sich auch, Namen für sie zu erfinden, aber er fand nur heraus, dass sie zusammen Tassiloiii hießen. Das erheiterte ihn dermaßen, dass er sich verschluckte und fast erstickte.
Aber schon in der Nacht trübte sich ihr Glück. Die Luftmatratze war ja platt. Außerdem war sie zu schmal für beide. „Leg dich auf mich und deck dich mit dem Bart zu", bot ihr Grapsch großzügig an, „da hast du's weich und warm." Das hatte sie. Aber mit jedem Atemzug des Räubers hob und senkte sie sich. Davon wurde sie seekrank. Und als er sich im Schlaf umdrehte, rollte sie hinab. Fast hätte er sie zerdrückt. Schließlich - es war schon gegen Morgen - holte Grapsch das Heu wieder herein, das er zwei Tage vorher hinausgeräumt hatte. In dem großen, weichen Heuhaufen schliefen sie dann, eng umschlungen, bis weit in den Vormittag hinein: er unter seiner rosa Steppdecke, sie unter seinem Bart.
Kaum waren sie aufgestanden, zeigte es sich schon, dass sie sehr verschieden waren. Grapsch wollte sich seine Zähne nicht putzen. „Schon wieder?", rief er. „Ich hab sie mir doch erst gestern geputzt!"
Er war schlechter Laune, weil er nicht gut geschlafen hatte. So kam es, dass er Olli verbot, die Fledermäuse hinauszuscheuchen. „Sie haben schon hier gehangen, als mein Großvater noch gelebt hat", knurrte er.
„Sie sind an die Höhle gewöhnt, und ich bin an sie gewöhnt. Man kann nicht alles so schnell verändern. Da vergeht einem ja Hören und Sehen!"
„Aber Fledermäuse und Sauberkeit, das verträgt sich nicht", sagte sie eigensinnig.
„Du bist nicht mehr bei deiner Etepetete-Tante", rief er. „Du lebst jetzt in einer Räuberhöhle!"
„Und Warum soll es nicht auch saubere Räuberhöhlen geben?", fragte sie. „Ich will jedenfalls keinen Fledermausdreck in der Suppe haben."
„Dann iss du draußen", brummte er. „Ich esse drin. Und die Fledermäuse bleiben in der Höhle."
Es regnete. Olli konnte ihre Suppe nicht vor der Höhle löffeln. Trotzdem fiel ihr kein Dreck in den Teller, denn sie spannte ein Tuch unter den Fledermäusen aus, genau über dem Tisch. Da konnte nichts mehr fallen. Und sie versöhnten sich wieder.
Aber schon begann der nächste Streit. Es ging um das Bild an der Wand.
„Wer ist das eigentlich", fragte Grapsch, „dieser komische Kerl mit der Schleife um die Brust wie ein Osterhase?"
„Das ist der Präsident unseres Landes", erklärte Olli verwundert. Als sie merkte, dass er nicht begriff, was sie meinte, fügte sie hinzu: „Der oberste Bestimmer."
„Wir brauchen keinen Bestimmer", sagte er, riss das Bild von der Wand und warf es in hohem Bogen hinaus in den nächsten Sumpf. „Was fällt dir ein?", rief sie wütend. „Der Rahmen war so teuer!"
„Wenn du Rahmen brauchst, raub ich dir welche", knurrte er und löffelte weiter seine Suppe.
Aber schon kurz danach versöhnten sie sich wieder und beschlossen ihren ersten nächtlichen Raubzug.
„Heute Nacht rauben wir, was du willst", meinte Grapsch großzügig.
Und so wanderten sie um Mitternacht bis an den Waldrand bei Juckendorf und schlichen dann durchs Korn bis zum Haus der Tante. Durch das Klofenster kroch Olli hinein,
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