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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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Unglück in mir weckte, ein Gefühl des Verwaistseins, von dem ich wusste, dass es nichts mit der Schublade zu tun, sondern sich einfach dort eingenistet hatte. Aus irgendeinem Grund habe ich immer angenommen, die Schublade enthielte Briefe von dem Mädchen aus dem Gedicht, das Daniel Varsky mir damals vorgelesen hatte, oder wenn nicht von ihm, dann von einem ähnlichen.
    Am folgenden Samstagmittag klingelte Leah Weisz bei mir. Als ich die Tür aufmachte und die Gestalt dastehen sah, verschlug es mir den Atem: Es war Daniel Varsky, trotz der verronnenen siebenundzwanzig Jahre, genau wie er an jenem Winternachmittag, als ich bei ihm klingelte und er mir die Tür aufmachte, dagestanden hatte, nur dass jetzt alles umgekehrt war, wie in einem Spiegel, oder umgekehrt, als wäre die Zeit plötzlich stehengeblieben und schnurrte zurück, indem sie alles Geschehene ungeschehen machte. Dieselbe Hagerkeit, dieselbe Nase und dennoch derselbe Eindruck von etwas Zartem. Dieses Echo von Daniel Varsky streckte nun seine Hand aus. Eine kalte Hand, als ich sie schüttelte, trotz der Wärme draußen. Sie trug eine blaue, an den Ellbogen abgewetzte Samtjacke und einen roten Leinenschal um den Hals, die Enden verwegen über die Schultern geschlungen, wie eine frischgebackene Studentin, die sich, gebeugt von der Last ihrer ersten Begegnung mit Kierkegaard oder Sartre, gegen den Wind durch den Collegehof kämpft. So jung sah sie aus, wie achtzehn oder neunzehn, aber nach dem, was ich mir ausrechnen konnte, musste Leah vierundzwanzig oder fünfundzwanzig sein, fast genau das Alter, in dem Daniel und ich uns kennengelernt hatten. Und anders als bei einer frisch-fröhlichen Studentin lag etwas Ahnungsvolles in der Art, wie ihr das Haar über die Augen fiel, und in den Augen selbst, die dunkel waren, fast schwarz.
    Aber drinnen sah ich, dass sie nicht ihr Vater war. Unter anderem war sie kleiner, gedrungener, beinahe koboldhaft. Ihr Haar war kastanienbraun, nicht schwarz wie Daniels. Unter der Deckenbeleuchtung in meinem Flur fielen Daniels Züge hinlänglich von ihr ab, dass ich auf der Straße wohl an ihr vorbeigegangen wäre, ohne etwas Vertrautes zu bemerken.
    Sie sah den Tisch sofort und ging langsam darauf zu. Vor der klotzigen Masse, die ihr, so stelle ich mir vor, gegenwärtiger war, als ihr Vater es je gewesen sein konnte, blieb sie stehen, fasste sich an die Stirn und ließ sich auf den Stuhl sinken. Einen Augenblick dachte ich, sie würde weinen. Stattdessen legte sie ihre Hände auf die Oberfläche, schob sie vor und zurück und begann an den Schubladen zu fummeln. Ich unterdrückte meinen Ärger über diese Übertretung, ebenso wie über die folgende, denn sie begnügte sich nicht damit, nur eine Schublade aufzuziehen und hineinzuschauen, sondern schien erst befriedigt, als sie noch in drei oder vier andere geschaut und gesehen hatte, dass alle leer waren. Einen Augenblick dachte ich, ich würde weinen.
    Aus Höflichkeit und um jeder weiteren Inspektion des Möbels Einhalt zu gebieten, bot ich ihr einen Tee an. Sie erhob sich von dem Schreibtisch, drehte sich um und ließ ihren Blick durch das Zimmer wandern. Leben Sie allein?, fragte sie. Ihr Ton, oder ihr Gesichtsausdruck, während sie den schiefen Bücherstapel neben meinem fleckigen Lehnstuhl und die Ansammlung schmutziger Tassen auf der Fensterbank betrachtete, erinnerte mich an die mitleidige Art, wie Freunde mich manchmal angesehen hatten, als ich in den Monaten vor meiner Begegnung mit Leahs Vater allein in der von Rs Sachen leergeräumten Wohnung lebte. Ja, sagte ich. Wie möchten Sie den Tee? Haben Sie nie geheiratet?, fragte sie, und ehe ich michs versah, vielleicht aus Verblüffung über ihre unverblümte Frage, antwortete ich mit Nein. Das habe ich auch nicht vor, sagte sie. Nein?, fragte ich. Warum nicht? Nehmen Sie doch sich selbst, sagte sie. Sie sind frei, zu gehen, wohin Sie wollen, zu leben, wie es Ihnen gefällt. Sie steckte sich das Haar hinter die Ohren und ließ ihren Blick erneut über das Zimmer schweifen, als sollte nicht nur ein Tisch, sondern die ganze Wohnung oder vielleicht das Leben selbst auf ihren Namen übertragen werden.
    Es wäre, zumindest im Augenblick, unmöglich gewesen, alles zu fragen, was ich über die Umstände von Daniels Verhaftung wissen wollte, wo man ihn festgehalten hatte und ob irgendetwas darüber bekannt sei, wie und wo er gestorben war. So erfuhr ich denn im Lauf der nächsten halben Stunde, dass Leah zwei Jahre in New York

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