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Das große Haus (German Edition)

Das große Haus (German Edition)

Titel: Das große Haus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Krauss
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einem Hut auf. Die Gesichter der oberen Bildhälfte standen auf dem Kopf, als hätte der Maler oder die Malerin das Blatt umgedreht oder es beim Malen auf Knien umkreist, um leichter dranzukommen. Es war ein merkwürdiges Prachtstück, stilistisch anders als all die anderen Dinge, die der Tänzer gesammelt hatte, und ich betrachtete es eine oder zwei Minuten lang, ehe ich zur Toilette weiterging.
    Das Feuer im Wohnzimmerkamin brannte herunter, es wurde spät. Am Ende, als wir uns die Mäntel anzogen, fragte ich den Tänzer zu meiner eigenen Überraschung, wer das Bild gemalt habe. Er sagte, sein bester Kindheitsfreund habe es gemacht, als er neun war. Mein Freund und seine ältere Schwester, sagte er, obwohl ich glaube, das meiste ist von ihr. Danach haben sie es mir geschenkt. Der Tänzer half mir in den Mantel. Wissen Sie, dieses Bild hat eine traurige Geschichte, fügte er dann, fast nachträglich, hinzu.
    Eines Nachmittags tat die Mutter ihren Kindern Schlaftabletten in den Tee. Der Junge war neun und seine Schwester elf. Als sie eingeschlafen waren, trug sie die beiden ins Auto und fuhr mit ihnen in den Wald. Um diese Zeit wurde es dunkel. Sie übergoss das ganze Auto mit Benzin und zündete ein Streichholz an. Alle drei sind verbrannt. Es ist seltsam, sagte der Tänzer, aber ich war immer neidisch darauf, wie es bei meinen Freunden zu Hause war. In dem Jahr ließen sie den Weihnachtsbaum bis April stehen. Er wurde braun, und die Nadeln fielen ab, aber ich lag meiner Mutter in den Ohren, warum wir unseren Weihnachtsbaum nicht auch so lange behalten durften wie die Jörns.
    In der Stille, die nach dieser sehr freimütig erzählten Geschichte eintrat, lächelte der Tänzer. Ich weiß nicht warum, vielleicht weil ich meinen Mantel schon anhatte und es in der Wohnung warm war, aber mir wurde plötzlich heiß und schwindlig. Ich hätte ihn gern noch viele andere Dinge über die Kinder und seine Freundschaft mit ihnen gefragt, aber ich fürchtete umzukippen, sodass wir uns, nachdem ein anderer Gast einen Scherz über den morbiden Ausklang des Abends gemacht hatte, für das Essen bedankten und uns verabschiedeten. Im Aufzug konnte ich mich nur mit Mühe aufrecht halten, aber S, der leise vor sich hin summte, schien es nicht zu merken.
    Zu dieser Zeit dachten S und ich daran, ein Kind zu bekommen. Das hatten wir uns beide von Anfang an vorgestellt. Aber es gab immer Dinge, von denen wir glaubten, wir müssten sie in unserem eigenen Leben, gemeinsam und jeder für sich, erst einmal bewältigen, und so verging einfach die Zeit, ohne einen Entschluss zu bringen oder eine klarere Idee, wie wir es schaffen sollten, mehr aus uns zu machen als das, was wir uns schon mühsam genug erkämpften. Und obwohl ich mir, als ich jünger war, voller Überzeugung ein Kind gewünscht habe, war ich nicht überrascht, als ich mit fünfunddreißig, dann mit vierzig Jahren noch keins hatte. Das mag ambivalent erscheinen, Euer Ehren, und ich nehme an, teilweise ist es das auch, aber da war noch etwas anderes, ein Gefühl, das mich immer begleitet hat, auch wenn sich zunehmend das Gegenteil erwies: dass ich noch Zeit hätte – und immer haben würde. Die Jahre vergingen, vor dem Spiegel veränderte sich mein Gesicht, mein Körper war nicht mehr, was er einmal gewesen war, aber ich mochte nicht glauben, dass die Möglichkeit, ein eigenes Kind zu bekommen, ohne meine ausdrückliche Zustimmung verfiel.
    Im Taxi, das uns in jener Nacht nach Hause brachte, war ich in Gedanken bei der Mutter und ihren Kindern. Die sanft über das Nadelbett des Waldbodens rollenden Autoreifen, der auf einer Lichtung abgedrehte Motor, die bleichen Gesichter dieser jungen Maler, die auf der Rückbank schliefen, mit Dreck unter den Fingernägeln. Wie konnte sie das tun?, sagte ich laut zu S. Es war nicht wirklich das, was ich ihn fragen wollte, aber so nahe daran, wie es mir gerade möglich war. Sie hat den Verstand verloren, sagte er einfach, als wäre die Sache damit erledigt.
    Kurz darauf schrieb ich eine Geschichte über den Kindheitsfreund des Tänzers, diesen Jungen, der in einem deutschen Wald schlafend im Auto seiner Mutter gestorben war. Ich habe an den Einzelheiten nichts geändert; ich habe nur welche hinzuphantasiert. Das Haus, in dem die Kinder lebten, der süße Duft, der an Frühlingsabenden durch die offenen Fenster strömte, die selbstgepflanzten Bäume im Garten, alles stieg mühelos vor mir auf. Wie die Kinder gemeinsam Lieder sangen, die sie von

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