Das große Haus (German Edition)
ins Leben zurückzuholen. Ich zog mein weißes Taschentuch heraus und legte es auf den Tisch. Ich ergebe mich, flüsterte ich. Aber ich hatte noch einen starken Akzent. Wozu erhebst du dich?, fragte sie. Danach spazierten wir ins Dorf zurück, und auf dem Weg blieb sie vor einem großen steinernen Haus mit grünen Fensterläden stehen. Da, zeigte sie, unter diesem Maulbeerbaum, da werden unsere Kinder einmal spielen. Sie scherzte nur, aber als ich mich dorthin umdrehte, wohin ihr Zeigefinger wies, sah ich einen Lichtstrahl in den Schatten unter dem Geäst des alten Baumes blitzen, und es versetzte mir einen Stich.
Meine Geschäfte – das, was mit einer geschnitzten Walnusskommode begann, die ich dem Türken vom Zoll billig abgekauft hatte – liefen gut. Später verkaufte er mir einen Klapptisch, eine Porzellanuhr, einen flämischen Wandteppich. Ich entdeckte, dass ich ein gewisses Talent besaß; ich entwickelte Sachverstand. Ich ließ einen Stuhl, einen Tisch, eine Kommode aus den Trümmern der Geschichte erscheinen. Ich machte mir einen Namen, aber den Lichtstrahl unter dem Maulbeerbaum hatte ich nicht vergessen. Eines Tages kehrte ich zu dem Haus zurück, klopfte an die Tür und bot dem Mann, der dort wohnte, eine Summe, die er nicht ablehnen konnte. Er bat mich hinein. In seiner Küche einigten wir uns per Handschlag. Als ich hierherkam, sagte er, war der Fußboden noch voller Schalen von den Pistazien, die der Araber gegessen hatte, bevor er mit Frau und Kindern die Flucht ergriff. Oben fand ich die Puppe des kleinen Mädchens, sagte er, eine mit echten Haaren, die es liebevoll gebürstet hatte. Eine Zeitlang habe ich sie behalten, aber irgendwann schauten mich die Glasaugen so seltsam an.
Anschließend erlaubte er mir einen Rundgang durch das Haus, das unser Haus werden würde, ihres und meines. Ich ging von einem Zimmer zum anderen, auf der Suche nach dem einen. Keines war das richtige. Und dann, beim Öffnen einer weiteren Tür, fand ich es.
Als ich in das Budapester Haus zurückkehrte, in dem ich aufgewachsen war, war der Krieg vorbei. Alles war verdreckt. Die Spiegel zertrümmert, die Teppiche mit Weinflecken besudelt, jemand hatte mit schwarzer Kohle einen Mann beim Geschlechtsverkehr mit einem Esel an die Wand gemalt. Und doch war es nie so sehr mein Zuhause gewesen wie in seiner Schändung. Auf dem Boden der geplünderten Kleiderkammer fand ich drei Haarsträhnen meiner Mutter.
Ich führte meine Frau zu dem Haus, das sie geliebt hatte, bevor sie mich liebte. Es gehört uns, sagte ich. Wir gingen durch die Flure. Ein Haus, in dem man sich verirren konnte. Keiner von uns erwähnte die Kälte. Um eines möchte ich bitten, sagte ich. Was?, sagte sie aufgeregt, atemlos. Lass mir ein Zimmer, sagte ich. Was?, sagte sie wieder, etwas zaghafter. Ein Zimmer ganz für mich allein, das du nie betrittst. Sie schaute aus dem Fenster. Das Schweigen rollte sich zwischen uns aus.
Als ich ein kleiner Junge war, wollte ich an zwei Orten zugleich sein. Ich war wie besessen von der Idee, redete endlos darüber. Meine Mutter lachte, aber mein Vater, der, wo immer er hinging, zweitausend Jahre bei sich trug wie andere Männer eine Taschenuhr, sah es anders. In meinem kindlichen Wunsch sah er das Symptom einer Erbkrankheit. An meinem Bett sitzend, von einem Husten geplagt, den er nicht unterdrücken konnte, las er mir die Gedichte von Judah Halevi vor. Mit der Zeit verwandelte sich das, was als Phantasie begonnen hatte, in einen tiefen Glauben: Während ich im Bett lag, spürte ich, wie mein anderes Selbst eine leere Straße in einer fremden Stadt hinunterging, wie es in der Dämmerung ein Schiff bestieg, auf dem Rücksitz eines schwarzen Autos fuhr.
Meine Frau starb, und ich verließ Israel. Ein Mensch kann sehr viel mehr als zwei Orte zugleich sein. Ich nahm meine Kinder mit, von Stadt zu Stadt. Sie lernten, in Autos und Zügen die Augen zu schließen, an einem Ort einzuschlafen und woanders aufzuwachen. Ich lehrte sie, dass, wie auch immer der Blick aus dem Fenster, der Stil der Architektur, die Farbe des Abendhimmels sein mögen, der Abstand zwischen einem selbst und einem selbst unveränderlich bleibt. Ich ließ sie immer zusammen in einem Zimmer schlafen, und ich lehrte sie, keine Angst zu haben, wenn sie mitten in der Nacht aufwachten und nicht wussten, wo sie waren. Solange Joav rief und Leah antwortete oder Leah rief und Joav antwortete, konnten sie sich beruhigt wieder schlafen legen und
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