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Das große Heft

Das große Heft

Titel: Das große Heft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agota Kristof
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Straßenecke steht ein Panzer. Auf dem Großen Platz sind Lastwagen, Jeeps, Motorräder, Beiwagen und überall viele Militärs. Auf dem Marktplatz, der nicht geteert ist, stellen sie Zelte auf und richten im Freien Küchen ein.
    Als wir an ihnen vorbeikommen, lächeln sie uns zu, sie sprechen mit uns, aber wir verstehen nicht, was sie sagen. Außer den Soldaten ist niemand auf den Straßen. Die Haustüren sind verschlossen, die Läden zugezogen, die Rolläden der Geschäfte heruntergelassen. Wir gehen wieder nach Hause, wir sagen zur Großmutter: 
    - Alles ist ruhig in der Stadt. 
    Sie feixt:
    - Im Augenblick ruhen sie sich aus, aber heute nachmittag werdet ihr schon sehen! 
    - Was wird passieren, Großmutter?
    - Sie werden alles durchsuchen. Sie werden überall reingehen und rumwühlen. Und nehmen, was ihnen gefällt. Ich habe schon einen Krieg miterlebt, ich weiß, wie das ist. Wir haben nichts zu befürchten: Hier gibt es nichts zu holen, und ich weiß, wie man mit ihnen redet. 
    - Was suchen sie denn, Großmutter?
    - Spione, Waffen, Munition, Uhren, Gold, Frauen. 
    Am Nachmittag beginnen die Soldaten tatsächlich, systematisch die Häuser zu durchsuchen. Wenn man ihnen nicht aufmacht, schießen sie in die Luft, dann treten sie die Tür ein.
    Viele Häuser sind leer. Die Bewohner sind für immer weggegangen, oder sie verstecken sich im Wald. Diese unbewohnten Häuser werden durchsucht wie die anderen, ebenso alle Geschäfte und Läden.
    Nach den Soldaten dringen die Diebe in die Geschäfte und die verlassenen Häuser ein. Die Diebe sind vor allem Kinder und Greise, auch ein paar Frauen, die vor nichts Angst haben oder arm sind.
    Wir treffen Hasenscharte. Ihre Arme sind mit Kleidern und Schuhen beladen. Sie sagt uns:
    - Beeilt euch, solange noch was da ist. Ich mache schon zum drittenmal meine Einkäufe.
    Wir gehen in den Buchladen, dessen Tür eingetreten ist. Dort sind nur ein paar Kinder, die kleiner sind als wir. Sie nehmen sich Bleistifte und bunte Kreide, Radiergummis, Bleistiftspitzer, Ranzen.
    Wir suchen uns in aller Ruhe aus, was wir brauchen: eine vollständige Enzyklopädie in mehreren Bänden, Bleistifte und Papier.
    Auf der Straße prügeln sich ein alter Mann und eine alte Frau um einen Räucherschinken. Um sie herum stehen Leute, die lachen und sie anfeuern. Die Frau zerkratzt dem Alten das Gesicht, und schließlich ist sie es, die den Schinken mitnimmt.
    Die Diebe besaufen sich mit gestohlenem Alkohol, raufen, schlagen die Fenster der Häuser und die Scheiben der Läden ein, die sie geplündert haben, zerbrechen das Geschirr, werfen die Dinge auf den Boden, die sie nicht brauchen oder nicht mitnehmen können.
    Auch die Soldaten trinken und gehen erneut in die Häuser, aber diesmal, um Frauen zu finden.
    Überall hört man Schüsse und Schreie von Frauen, die vergewaltigt werden.
    Auf dem Großen Platz spielt ein Soldat Akkordeon. Andere Soldaten tanzen und singen.

Der Brand
    Seit einigen Tagen sehen wir die Nachbarin nicht mehr in ihrem Garten. Wir treffen Hasenscharte nicht mehr. Wir gehen nachsehen.
    Die Tür der Hütte ist offen. Wir gehen hinein. Die Fenster sind klein. Es ist dunkel in dem Raum, dabei scheint draußen die Sonne.
    Unsere Augen gewöhnen sich an das Halbdunkel, wir erkennen die Nachbarin, sie liegt auf dem Küchentisch. Ihre Beine hängen herab, ihre Arme liegen auf ihrem Gesicht. Sie bewegt sich nicht.
    Hasenscharte liegt auf dem Bett. Sie ist nackt. Zwischen ihren gespreizten Beinen ist eine getrocknete Lache aus Blut und Sperma. Die Wimpern für immer verklebt, die Lippen über schwarzen Zähnen in einem ewigen Lächeln hochgezogen, - Hasenscharte ist tot. Die Nachbarin sagt: 
    - Geht weg. 
    Wir nähern uns ihr, wir fragen: 
    - Sie sind nicht taub?
    - Nein. Ich bin auch nicht blind. Geht weg.
Wir sagen:
- Wir wollen Ihnen helfen.
Sie sagt:
- Ich brauche keine Hilfe. Ich brauche nichts. Geht weg.
Wir fragen:
- Was ist hier passiert?
    - Das seht ihr doch. Sie ist tot, nicht wahr? 
    - Ja. Waren es die neuen Fremden?
    - Ja. Sie war es, die sie gerufen hat. Sie ist auf die Straße gegangen, sie hat sie her eingewinkt. Es waren zwölf oder fünfzehn. Und während sie sie bestiegen, schrie sie immerzu: »Wie froh ich bin, wie froh ich bin! Kommt alle, kommt, noch einer, und noch einer!« Sie ist glücklich gestorben, totgefickt. Aber ich, ich bin nicht tot! Ich bin hier liegengeblieben, ohne zu essen, ohne zu trinken, ich weiß nicht, seit wie lange. Und der Tod kommt

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