Das große Heft
arbeiten gern in den Kneipen.
Er sagt:
- Ich habe erfahren, daß man euch geschlagen, gefoltert hat.
Wir fragen:
- Was ist aus Ihrer Magd geworden?
- Sie hat sich an die Front gemeldet, um die Verwundeten zu pflegen. Sie ist tot.
Wir schweigen. Er fragt:
- Wollt ihr euch mir anvertrauen? Ich bin durch das Beichtgeheimnis gebunden. Ihr habt nichts zu befürchten. Beichtet.
Wir sagen:
- Wir haben nichts zu beichten.
- Ihr habt unrecht. Ein solches Verbrechen ist sehr schwer zu tragen. Die Beichte wird euch Erleichterung verschaffen. Gott vergibt allen, die ihre Sünden aufrichtig bereuen.
Wir sagen:
- Wir bereuen nichts. Wir haben nichts zu bereuen.
Nach einem langen Schweigen sagt er:
- Ich habe alles durchs Fenster gesehen. Das Stück Brot... Aber die Rache ist bei Gott. Ihr habt nicht das
Recht, an Seine Stelle zu treten.
Wir schweigen. Er fragt:
- Darf ich euch segnen?
- Wenn es Ihnen Freude macht.
Er legt seine Hände auf unsern Kopf:
- Gott der Allmächtige, segne diese Kinder. Was auch ihr Verbrechen sein mag, vergib ihnen. Sie sind verirrte Schafe in einer schändlichen Welt, selber Opfer unserer verderbten Zeit, sie wissen nicht, was sie tun. Ich flehe zu dir, rette ihre kindlichen Seelen, reinige sie in deiner unendlichen Güte und Barmherzigkeit. Amen.
Dann sagt er uns noch:
- Besucht mich von Zeit zu Zeit, auch wenn ihr nichts braucht.
Die Flucht
Von einem Tag zum andern erscheinen Plakate auf den Mauern der Stadt. Auf einem Plakat sieht man einen alten Mann am Boden liegen, den Körper vom Bajonett eines feindlichen Soldaten durchbohrt. Auf einem andern Plakat schlägt ein feindlicher Soldat ein Kind mit einem anderen Kind, das er an den Füßen hält. Wieder auf einem andern zieht ein feindlicher Soldat eine Frau am Arm und zerreißt mit der andern Hand ihre Bluse. Der Mund der Frau steht offen, und Tränen rollen aus ihren Augen. Die Leute, die die Plakate betrachten, sind entsetzt. Großmutter lacht, sie sagt:
- Das sind Lügen. Ihr braucht keine Angst zu haben. Die Leute sagen, daß die Große Stadt gefallen ist.
Großmutter sagt:
- Wenn sie den Großen Fluß überquert haben, kann sie nichts mehr aufhalten. Sie werden bald hier sein.
Unsere Kusine sagt:
- Dann werde ich heimgehen können.
Eines Tages sagen die Leute, daß die Armee sich ergeben hat, daß Waffenstillstand ist und daß der Krieg aus ist. Am nächsten Tag sagen die Leute, daß es eine neue Regierung gibt und daß der Krieg weitergeht.
Viele fremde Soldaten kommen mit dem Zug oder mit dem Lastwagen. Auch Soldaten unseres Landes. Es gibt viele Verwundete. Wenn die Leute die Soldaten unseres Landes ausfragen, antworten diese, daß sie nichts wissen. Sie gehen durch die Stadt. Sie gehen in das andere Land, auf der Straße, die am Lager vorbeiführt. Die Leute sagen:
- Sie fliehen. Es ist der Zusammenbruch.
Andere sagen:
- Sie ziehen sich zurück. Sie sammeln sich hinter der Grenze wieder. Hier werden sie sie zum Stehen bringen. Nie werden sie den Feind über die Grenze lassen.
Großmutter sagt:
- Das wird sich zeigen.
Viele Leute kommen an Großmutters Haus vorbei. Auch sie gehen in das andere Land. Sie sagen, daß man unser Land für immer verlassen muß, weil der Feind kommt und sich rächen wird. Er wird unser Volk versklaven. Es gibt Leute, die zu Fuß fliehen, einen Sack auf dem Rücken, andere schieben ihre Fahrräder, die mit den verschiedensten Dingen beladen sind: ein Federbett, eine Geige, ein Ferkel in einem Käfig, Kochtöpfe. Andere sitzen auf Karren, die von Pferden gezogen werden: Sie nehmen ihr ganzes Mobiliar mit.
Die meisten sind aus unserer Stadt, aber manche kommen von weit her.
Eines Morgens kommen der Adjutant und der fremde Offizier, um sich von uns zu verabschieden. Der Adjutant sagt:
- Alles kaputt. Aber besser besiegt sein als tot.
Er lacht. Der Offizier legt eine Schallplatte auf das Grammophon; wir hören schweigend zu, auf dem großen Bett sitzend.
Der Offizier drückt uns an sich, er weint.
- Ich werde euch nie wiedersehen.
Wir sagen zu ihm:
- Sie werden eigene Kinder haben.
- Ich will keine.
Er sagt noch, auf die Schallplatten, das Grammophon deutend:
- Behaltet das zur Erinnerung an mich. Aber nicht das Wörterbuch. Ihr werdet eine andere Sprache lernen müssen.
Der Leichenacker
Eines Nachts hören wir Explosionen, Schießereien, das Rattern der Maschinengewehre. Wir verlassen das Haus, um zu sehen, was vorgeht. Ein großes Feuer steigt vom
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