Das große Los: Wie ich bei Günther Jauch eine halbe Million gewann und einfach losfuhr (German Edition)
Zeit, die mir plötzlich eine Nummer zu groß erschien. Wie würde es sein, eine ganze Runde auszusetzen? Was würde ich zuhause verpassen, was vermissen? Kann ich danach einfach so weitermachen oder würde alles anders sein?
20Flugstunden später war es immer noch nicht besser. Ich stand morgens um neun auf dem Balkon meiner angemieteten Wohnung, vor mir den traumhaften Blick über die glitzernde Elizabeth Bay, links die Oper, rechts der Ozean, in der Hand ein Glas eiskalten Rotwein aus der angebrochenen Flasche, die meine Vormieterin im Kühlschrank gelassen hatte.
Ja, um neun Uhr morgens. Nein, es ging nicht anders.
Ich stand da und trank und guckte und dachte: Dies ist phantastisch, dies ist wunderschön. Aber was zum Teufel will ich hier eigentlich? Ich fühlte mich wie ein Zootier, das in der Savanne ausgewildert werden soll und sich aus Furcht vor der Freiheit nicht aus der Transportkiste traut.
Habe ich mich einfach zu schnell und zu schlecht vorbereitet in diese Reise gestürzt? So ganz ohne Anlauf, einfach aus dem Stand losgesprungen: Wie weit würde ich damit kommen? Reicht es für den großen Satz oder nicht doch nur für einen kleinen Hopser?
Jetlag, wirst Du sagen. Ja, klar. Aber vor allem emotionaler Jetlag. Meine Gefühle kamen einfach nicht hinterher, aus der Vorfreude der letzten Monate war noch keine Freude gewo rd en. Die hing vermutlich noch über dem Indischen Ozean fest.
Nachts war ich hellwach, aß ein Pfund Kirschen (im Januar! Aber hier ist Hochsommer, auch die Jahreszeit hat Jetlag), kochte mir einen Becher australischen Billy Tea und tat dann etwas entsetzlich Heimwehkrankes. Lach nicht: Ich habe die Silvesterfolge vom » Traumschiff« in der ZDF -Mediathek geguckt. Ich sagte, lach nicht.
Am nächsten Tag habe ich erst mal Inventur gemacht.
» Meike Winnemuth aus Hamburg, 50, ledig, Single, keine Kinder«, so hatte mich Jauch in der Sendung vorgestellt. 50, ledig, Single, keine Kinder– wie trostlos das klingt, habe ich damals gedacht. Bin ich das, beschreibt mich das? So was wäre mir nie eingefallen, wenn ich mich Leuten vorstellen müsste. Vielleicht eher so: Meike Winnemuth, 50, deutlich jünger aussehend und sich auch so fühlend, neugierig, mutig, tendenziell faul mit Energieschüben und dem Talent zu schnellen Entschlüssen, unneurotisch, verspielt, verlässlich. Einzelgängerin mit hoher Sozialkompetenz. Bockig, wenn sie etwas wollen soll, das ihr nicht einleuchtet. Experimentierfreudig. Hat sich noch nie im Leben gelangweilt.
Das sind ziemlich gute Voraussetzungen für das Reisen, finde ich. Und natürlich ist auch singleledigkeinekinder eine Spitzenvoraussetzung dafür, wenn man es übersetzt mit: frei. Unabhängig. Kann machen, was sie will.
Das war nicht immer so, wie Du weißt. Fester Job, feste Beziehung– und dann halt doch nicht so fest wie gedacht. Nichts ist für immer – manchmal leider, manchmal Gott sei Dank. Deshalb weiß ich auch, dass meine momentane Freiheit möglicherweise ebenfalls endlich ist. Also nichts wie weg, jetzt oder nie– wer weiß, wann es noch mal so schön passt.
Unsere langzeitreiseerfahrene Freundin Sabine hatte mir geweissagt, dass sich die ersten Wochen noch anfühlen würden wie ganz normaler Urlaub. Erst nach ein paar Monaten würde ich verstehen, dass ich ein ganzes Jahr Zeit hätte. Wahrscheinlich hat sie recht, und vielleicht habe ich mir deshalb am Anfang die Tage so vollgeballert. Einerseits, weil mein innerer Duracell-Hase nicht so schnell zum Stillstand zu bringen ist, andererseits aus unbändiger Lust auf nie Getanes.
Gleich an meinem ersten Samstag bin ich um 3Uhr morgens aufgestanden und im Stockdunkeln zur Harbour Bridge gefahren. Von den Bridge Climbs hast Du bestimmt schon gehört: Man kann den Stahlbogen hochklettern und hat dann von ganz oben einen unglaublichen Blick auf die Oper und die Stadt. Einmal im Monat geht das auch im Morgengrauen. Musste ich mitnehmen, klar.
Der Bridge Climb ist zunächst mal kein Vergnügen. Man wird in einen merkwürdigen Strampelanzug gesteckt und mit einem Sicherungsgürtel versehen, bekommt Stirnlampe, zusammengefaltete Regenjacke und Kopfhörer für die Anweisungen des Guides angeklippt, muss in ein Alkoholtestgerät pusten, unterschreiben, dass man selbst schuld ist an allem, was ab sofort passiert, und sein gesamtes Leben in einem Schränkchen verschließen: Handys, Fotoapparate, Uhren, Schmuck, alles muss am Boden bleiben. Weil es sonst vermutlich sowieso dorthin fiele.
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