Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
Königs Fenster und er hielt große Stücke darauf.
Weil nun nichts so gut schmeckt, als das Verbotene, so dachte der Metzgerbursch gleich in seinem Vorwitz, er müsse die Granatäpfel versuchen, ob sie wirklich so gut seien. Also wünschte er sich, dass er ein Falk wäre und bei dem blosen Gedanken schon war es geschehen. Er schwang sich in die Luft, flog auf einen von des Königs Granatbäumen, fraß von den Aepfeln und schaute zum Fenster hinein. Drinnen in dem Schloss saßen sie gerade an Tafel und hatten vor sich Gesottenes und Gebratenes stehen; als ihm das in die Nase kam, wollten ihm die Aepfel nicht mehr schmecken. Da ward sein Vorwitz so groß, dass er zum Fenster hineinflog, ein gebratenes Huhn von der Schüssel nahm und wieder damit hinauswollte. Doch des Königs Töchterlein schlug schnelle den Fensterflügel zu, und nun war er gefangen.
Das sollte ihm aber zum Glück gereichen, denn die Prinzessin ließ ihrem Vogel Nichts zu leide tun, sondern hing ihn in einem schönen Bauer in ihrer eignen Schlafkammer auf. Die Nacht nun, da sie im Bette lag und schlief, flog er als Biene durch das Käfichtgitter, trat dann in Menschengestalt zu ihrem Lager und umarmte und küsste sie auf ihren roten Mund. Die Königstochter fuhr aus dem Schlaf empor und schrie nach Hülfe – doch bis der alte König mit seinem Hofstaat hereingelaufen kam, saß er schon wieder als Falk in seinem Bauer, hatte den Kopf unterm Flügel und tat, als ob er schliefe, also dass der König glaubte, die Prinzessin hätte nur geträumt und sie tüchtig ausschalt wegen ihrer Aengstlichkeit.
Kaum waren die Anderen wieder weg, so wünschte er sich wieder zur Biene, kroch aus dem Käfig und trat als Mann zu der Königstochter und küsste sie wiederum. Anfangs wehrte sie sich seiner, getraute aber nicht zu schreien; bald jedoch, als sie merkte, dass er ihr Nichts zu Leide tat, wurden sie eins miteinander und blieben wonneseelig beisammen bis zum Morgen.
Also war er heimlich mit der Prinzessin vermählt und lebten sie zusammen fast ein Jahr lang, ohne dass Jemand im Hause dessen gewahr wurde. Endlich trug es sich zu, dass die Prinzessin einen Knaben gebar und nun war die Sache freilich nicht mehr zu verheimlichen. Sie gestand ihrem Vater Alles. Der König war Anfangs sehr erzürnt, doch was war noch zu machen?
Es war zu spät, um es zu andern, also gab er seinen Segen dazu, ließ das Paar ordentlich trauen und ernannte den Schwiegersohn zu seinem Nachfolger.
Mit der Königstochter hatte es aber eine eigene Bewandtniß, denn der junge Erbprinz ward nun ernstlich verwarnt, nicht mit seiner jungen Frau in den Wald spazieren zu fahren. Sonst überall hin, aber im Wald würde der Wind sie hinwegführen.
Darüber lachte der Metzgerbursch; seine Neugierde und sein Vorwitz ließen ihn auch nicht eher ruhen, als bis er in dem Walde war. Sie fuhren ganz vergnügt unter den grünen Bäumen her. Da kam es aber mit einem Male heran wie ein starker Sturm, und eh' er sichs versah war seine Frau von dem Wind aus dem Wagen gehoben und hinweggeführt.
„Wiederhaben muss ich sie“ sprach er, „sie mag stecken wo sie will.“ Also ließ er die Kutsche leer nach Hause fahren, verwandelte sich in einen Windhund und lief so schnell er konnte davon, in der Richtung, in der er sie hatte verschwinden sehen. Er lief und lief bis ihn die Beine nicht mehr tragen wollten, und gelangte endlich vor einen Berg. Den betrachtete er auf und ab, konnte aber in der glatten Felsenwand kein Tor und keine Thür finden, nur einen ganz engen riss sah er endlich zwischen dem Gestein. Da wünschte er sich wieder die Bienengestalt und kroch so in die dunkle Felsenspalte und immer tiefer in den Berg hinein. Als er aber ganz darinnen war, nahm er die Gestalt des Falken wieder an und flog hinab bis in die unterste Welt. Die Stelle, wo er niederkam bezeichnete er sich vorsichtig mit einem Stein, um den Weg auch wieder hinauf zu finden und lief dann als Windhund weiter.
Da er ein gutes Stück gelaufen war, kam er vor ein wunderschönes Schloss, es war aber rings so wohl mit starken Toren verschlossen, dass er anfangs nicht wusste hineinzukommen; nur einen freien Eingang gab es, das Schlüsselloch nämlich; durch das kroch er denn auch in Bienengestalt hinein. Wer aber drinnen in dem wunderschönen Schlosse saß das war Niemand Anderes als seine liebe Frau, da nahm er seine natürliche Gestalt an und ging zu ihr. „Bist dus oder bist dus nicht?“ sprach er. „Ich bin es“ sagte sie,
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