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Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen

Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen

Titel: Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Grimm
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sobald sie auf dem Schiffe wären, die Anker lösen müsse, um sie in ein anderes Land zu fahren. Der Prinz lief vor Schrecken außer sich zu seiner Mutter und rief: „Mutter, das schwimmende Haus ist ein Räuberhaus und die Räuber haben uns entführt.“ „Sei ruhig, mein Sohn,“ sprach die Königin, „ich wollte dich nur ein wenig erschrecken, bald kommen wir schon wieder an das Land.“ Darin hatte sie wohl recht, es dauerte nicht lange, da sah der Prinz ein schwarzes Pünktchen in der Ferne, das wurde immer größer und als sie näher kamen, war es ein prächtiger Eichenwald. Das Schiff fuhr gerade darauf zu und legte an, die Königin nahm ihren Sohn bei der Hand und sprach: „Hier steigen wir aus und du wirst schon bald zufrieden gestellt sein.“
    Also traten sie ans Land und gingen in den schönen Wald. Der Prinz frug wohl oft, ob das denn auch noch ein Lustgarten von des Königs Schloss sei und ob sie nun bald zu Hause wären, doch wusste sie ihn immer abzuschweigen, bis sie an einen freien Platz kamen. Da sprach sie: „Lieber Sohn, ich bin müde, lass uns hier ein wenig ausruhen.“ Als sie nun so neben einander im Grase lagen, da küsste sie ihn und sprach ihm von ihrer Liebe, sagte ihm auch, dass sie ihn entführt habe und jetzt müsse er ihr Gemahl werden, wenn sie nicht auf der Stelle sterben solle. Aber der Prinz verwies ihr streng dieß schändliche Begehren und sprach: „Liebe Mutter, gedenke der großen Sünde, welche wir beide thäten, das kann nun und nimmermehr geschehen.“ Dabei blieb er auch standhaft, wie viel die Königin ihm auch noch vorschwatzte. Als sie nun sah, dass Alles vergebens war, da fasste sie einen Haß auf ihn, der war eben so groß und noch größer, als ihre Liebe gewesen war. Sie ließ sich aber nichts merken und tat so freundlich, wie zuvor, sprach, sie habe seine Tugend nur auf die Probe stellen wollen.
    Nachdem sie nun ausgeruht hatten, gingen sie zusammen weiter in dem Walde bis gegen Abend; da öffnete sich der Forst und sie sahen in der Ferne ein hohes, schönes Schloss liegen. Der Prinz sprach: „Liebe Mutter, bleibe du hier zurück, ich will zuerst in das Schloss gehn und sehen, wer da wohnt; wenn es kein Räuberhaus ist, dann hole ich dich bald wieder ab.“ Sie war damit zufrieden und er ging hin. Die Tore standen offen, er kam in den Hof und in die Zimmer, aber alle Leute, welche er sah, lagen im tiefsten Schlaf, die Bedienten und die Kammerjungfern, Koch und Köchin, Stallknecht und Viehmagd. Nachdem er fast das ganze Schloss durchwandert hatte, kam er zuletzt in einen hohen und herrlichen Saal, darin stand in der Mitte ein runder goldner Tisch und auf dem Tische lag ein weißes Hemd und ein goldner Ring. Rund um den Tisch lief aber eine silberne Schrift, welche hieß: „Wer dieses Hemd anzieht, der kann das Schwert an der Wand regieren. Wer diesen Ring in den Mund nimmt, versteht die Sprache der Vögel.“ Er schaute auf, da sah er an der Wand ein mächtiges, breites Schwert und da er in den Waffen sehr geübt war, wollte er es nehmen und ein paar Kreuzhiebe durch die Luft machen, aber er konnte es nicht einmal heben und vom Nagel langen. Da zog er das weiße Hemd an und steckte den Ring an den Finger; sogleich war ihm, als würde er ein ganz andrer Mensch und als flösse ganz neues, frisches Blut in seinen Adern. Er sprang in einem Satz an die Wand, fasste das Schwert und schwang es, wie einen Zierdegen, deßgleichen die Hofherren zu tragen pflegen.
    In demselben Augenblick hörte er in dem Schloss ein Laufen und Rennen, als wenn hunderte von Leuten durcheinander liefen, die Thür flog auf und drei Diener in prächtigen Anzügen kamen herein und fragten: „Was befiehlt unser König und Herr?“ Im ersten Augenblick stutzte der Prinz, aber er fasste sich bald und sprach: „Es soll der schönste Wagen an den Wald fahren und meine Mutter abholen.“ Die Diener verneigten sich und eilten fort. Jetzt sah er sich weiter in dem hohen Saale um und fand in einer Ecke ein Bett, das stand hinter einem Vorhang und darin schlief ein alter Mann mit grauen Haaren, aber mit einem falschen Gesicht, aus welchem man nicht viel Gutes herauslas. Der Prinz versuchte ihn zu wecken, aber der Greis brummte nur so etwas in den weißen Bart hinein, dann wandte er sich auf die andere Seite und schlief wieder ein. Jetzt kam seine Mutter an und freute sich recht über das schöne Schloss, darin sie nun wohnen sollte, aber in ihrem bösen Herzen brütete sie über der Rache und

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