Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
es nicht. Die Beiden standen am Fenster, sahen, wie der arme Bauer suchte und lachten. Endlich sprach der Schneider, der doch kein so ganz verdorbenes Herz hatte, wie das Weib: „Wir wollen ihn doch die Nacht noch einmal bei uns logiren lassen. Morgen mag er sehn, wie er sich forthilft.“ Er trat an die Thür und als der Bauer wieder vorbeikam und ein recht betrübtes Gesicht machte, rief er ihm zu und sprach: „Was fehlt euch denn?“ „Ach ich suche mein Haus, davor ein Kirschbaum steht, und kann es nicht finden und habe doch die letzte Nacht darin geschlafen. Sagt mir doch, wo ich mein Haus mit dem Kirschbaum finde,“ bat der Bauer und der Schneider sprach: „Lieber Freund, ich bin in dem Ort geboren und erzogen, aber ein Haus mit einem Kirschbaum habe ich nie hier gesehn. Ihr müsst in einem andern Ort zu Hause sein. Da es aber schon spät ist, so geht mit mir und übernachtet bei mir.“ „Gott lohn's euch!“ sagte der Bauer und bot ihm treuherzig die Hand, dann trieb er seine Kühe durch das HofTor in den Stall und der Schneider ging mit. Im Stalle schaute der Bauer sich um und sprach: „Wenn der Stall nicht euch gehörte, weiß der Himmel, ich möchte drauf schwören, es sei mein Stall.“ „Was sind das für Redensarten? Ihr werdet doch nicht denken, ich hätte euren Stall genommen?“ frug der Schneider. „Bewahre, bewahre, lieber Freund,“ antwortete der Bauer. „Ein Stall kann ja aber dem andern gleichen.“ Nachdem die Tiere versorgt waren, sagte der Schneider: „Nun kommt herein und eßt mit uns zu Nacht.“ „Von Herzen gern, ich habe großen Hunger,“ sprach der Bauer und folgte dem Schneider. Als sie in die Stube kamen, saß das Weib da und strickte. Der Bauer schaute sich um, guckte das Weib an und sprach: „Wie es einem doch so kurios gehen kann! Wenn ich nicht wüsste, dass ich in eurem Hause bin, wollte ich drauf schwören, das sei meine Stube und dort sitze meine Frau.“ „Was muss ich da hören?“ rief der Schneider. „Zuvor sagtet ihr, dass es euch scheine, mein Stall sei euer, und jetzt wollt ihr gar behaupten, mein Haus und meine Frau seien euer.“ „Bewahre, lieber Freund,“ sprach der Bauer, „aber ein Haus und eine Frau können einander gleichen. Es schien mir nur so.“ Sie setzten sich jetzt zu Tische und aßen, dann legten sie sich alle schlafen. Da berieth der Schneider mit dem Weibe, was sie jetzt weiter machen sollten. „Halt ich hab's!“ rief er endlich. „Ich sah in deinem Kleiderschrank vorhin ein schwarzes Kleid hängen, daraus mache ich ihm einen Pfarrersrock und ein Pfarrerkäppchen. Für das Uebrige lass mich nur sorgen.“ Sie holte rasch das Kleid und Zwirn, Nadel und Schere dazu, mein Schneider sprang auf den Tisch und nähte tapfer drauf los, so dass er vor Tagesanbruch mit dem Anzuge fertig war; den legte er dem Bauern vor sein Bett.
Als der Bauer Morgens erwachte und sich anziehen wollte und den Pfarrersrock mit dem Pfarrerkäppchen fand, war er gar verdutzt und sprach zu sich selber: „Hab ich doch gemeint, ich sei ein Bauer und bin doch ein Pfarrer. Was man sich nicht Alles einbilden kann!“ Er zog sich an und ging in die große Stube, da stand der Schneider und das Weib ehrerbietig auf und grüßten ihn: „Guten Morgen, lieber Herr Pfarrer.“ Der Bauer schüttelte den Kopf und fragte sich selber aufs Gewissen noch einmal: „Bin ich's, oder bin ich's nicht?“ Da sprach der Schneider: „Wollen Sie denn so früh schon weiter ziehen, Herr Pfarrer?“ und das Weib: „Ich will Ihnen vorher noch einen guten Kaffee kochen, Herr Pfarrer.“ „Ich bin's nicht, ich bin der Pfarrer,“ sagte jetzt der Bauer zu sich selbst, denn so große Falschheit hielt er in seiner Treuherzigkeit nicht für möglich. „Ich nehme den Kaffee mit Dank an,“ antwortete er alsdann, trank und aß und reiste weiter, während der Schneider und das Weib ins Fäustchen lachten.
Gegen Mittag kam er an ein Dorf, da war der Pfarrer gestorben und die Bauern suchten einen neuen Pfarrer. Da kam ihnen der Bauer gerade recht und er wurde sogleich ins Pfarrhaus geführt und am folgenden Tage, der ein Sonntag war, sollte er zuerst predigen. „Wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand,“ dachte der Bauer und ging Nachmittags aus, um einen Text zu seiner Predigt zu suchen. Da kam er an ein Wasser, worauf ein Korb schwamm und er sprach: „Halt, da habe ich schon eins, das ist Corpum.“ Dann kam er an eine Wiese, worauf eine Kuh Klee fraß. „Es geht gut,“ sprach
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