Das grosse Maerchenbuch - 300 Maerchen zum Traeumen
andern Arzt genommen. Aber der Kranke ist immer wirklich gestorben, wenn's der Doctor Tod vorhergesagt hat. Dadurch ist er nun gewaltig in Ansehen gekommen, Alles hat den Doctor Tod zum Arzt haben wollen und er hat unmenschlichen Reichtum davon gehabt.
Einstmals wird er auch in ein vornehmes Haus gerufen, da steht der Gevatter Tod dem Kranken zum Haupt. Da ruft er die Leute bei Seite und sagt, der Kranke sei nicht zu retten. Die Leute beschwören ihn um Gotteswillen, er möge doch den Kranken retten, denn wenn er stürbe, so seien sie verloren; ja sie fallen ihm zu Füßen und bitten und flehen so beweglich, dass er endlich sagt, nur ein einziges Mittel wisse er, aber es sei gefährlich für ihn selbst. Dabei sieht er nach seinem Gevatter hin und winkt ihm mit den Augen. Aber der rührt sich nicht vom Flecke und macht ihm ein böses Gesicht zu. Da tut er, als ob er sich entfernen wolle und winkt den Leuten, dass sie ihm vor die Thür folgen sollen. Draußen da sagt er ihnen, sie sollten sich ans Bett machen und es so geschwind wie möglich umdrehen. Darauf gehen die Leute hinein und drehen das Bett geschwind herum. Wie der Doctor dann wieder ins Zimmer tritt, steht der Gevatter zu den Füßen des Kranken, droht aber seinem Pathsohn mit dem Finger und sieht ganz mürrisch aus. Der aber setzt sich hin und verschreibt und sagt, nun sei der Kranke gerettet.
Wie er aus dem Hause tritt, auf dem Wege, ist der Gevatter bei ihm; der ist sehr zornig und spricht: „Das ist gegen die Ordnung, was du getan. Es hat ein anderer für den Kranken sterben müssen.“ Zuletzt versöhnt sich der Tod mit seinem Paten, aber nur zum Schein, und sagt: er solle mitkommen, er wolle ihm einmal sein Haus zeigen.
So führt ihn der Gevatter aufs Feld und da verbindet er ihm die Augen und führt ihn mit sich. Wie er ihn lange hin und her geführt hat, nimmt er ihm das Tuch von den Augen, und da sieht denn der Doctor, dass er mit seinem Gevatter in einem großen schwarzen Saale ist. Hier, sagt der Gevatter, ist meine Wohnung, und nun will ich dich auch umherführen und dir Alles zeigen. Darauf führt er ihn in einen andern Saal, der ebenfalls schwarz beschlagen ist. Da stehen unzählige Kerzen in Reihen beieinander und hintereinander, einige noch ganz hoch und frisch angezündet, andere halb, andere fast ganz herabgebrannt.
„Aber lieber Pathvetter“, sagt der Doctor, „was hast du für eine Menge Lichter! Was brennst du denn so viele Lichter?“
„Das sind Lebenslichter“, sagt der Pate. „Sieh, jeder Mensch hat so ein Licht. Wenn er geboren wird, so wird es angezündet. Wenn aber das Licht abgebrannt ist, so muss der Mensch sterben.“
„Ei so zeig mir doch auch einmal mein Lebenslicht, ich möchte wol wissen, wie lange ich noch zu leben habe.“
„Das kann ich dir wol zeigen.“
So zeigt er ihm sein Lebenslicht, so brennt das so kleine. Sagt er: „Warum brennt denn das so kleine?“ - „Die da groß brennen, leben lange, die da klein brennen, sterben bald.“
„Pate, störe mir mein Licht, dass ich noch lange lebe, ich bin ja dein Knecht.“ - „Sohn, das musst du selbst tun.“ - Also tut der's, da fällt er hintenüber wie ein Huhn und ist tot; er hat's beim Stören versehen und das Licht ausgelöscht.
Das weiße Männchen und die Jungfrau
In einer Waldung wohnte ein Mann, der hatte bei seiner Geburt den Zettel erwischt, wo auf beiden Seiten nichts steht, darum war er sehr arm und musste im Walde sein Brot suchen. Eines Morgens ging er auch ins Holz, betete und jammerte um seine Nahrung, da kam ein weißes Männchen und fragte ihn, was er da ankte und seufzte. Da stellte er alle seine Not vor. So sagte das weiße Männchen: er solle von Allem genug haben, wenn er nach vierzehn und drei Viertel Jahren ihm geben wolle, was er nach drei Viertel Jahren bekäme. Der Mann willigte ein und hatte seitdem von Allem die Hülle und die Fülle, und so kam die Zeit heran, da erhielt seine Frau ein kleines Mädchen. Das Mädchen wuchs wie Wasser an Leibeskraft und Verstand. Der Alte aber gedenkt daran, dass nun die Tochter dem weißen Männchen gehört, und dass bald die Zeit kommt, wo es sie hinwegholen wird. Er wird tiefsinnig und Mutter und Tochter fragen ihn, warum er sich mit so vielen Gedanken plage. Er aber will es erst nicht bekennen, was er für einen Pact mit dem Männchen gemacht hat, endlich bekennt er es doch. Der Tag kommt heran, er versteckt die Tochter und denkt, das weiße Männchen soll sie schon suchen, bis
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