Das Große Spiel
mich, den unbedeutenden Due de Saint Simon, Sohn des Due de Claude Saint Simon, Pair von Frankreich, und von Charlotte d'Aubespine, Gott habe ihre Seele gnädig. Seit Jahrhunderten darf unsere Familie den Königen Frankreichs dienen, und so hat mich mein lieber Freund, ich darf ihn jetzt sogar offiziell so nennen, Philipp, Due d'Orleans, gebeten, Sie an seiner statt aufzusuchen und in Paris willkommen zu heißen.«
John Law ließ den Redeschwall über sich ergehen. Er war beinahe erstaunt, als Saint Simon eine Atempause einlegte. John begrüßte den Herzog und verbeugte sich respektvoll vor ihm. Er bat ihn, Platz zu nehmen. Angelini servierte dem Herzog warmen Alicantewein und Biskuits. Saint Simon war entzückt. Mit einer galanten Geste drückte er seine Wertschätzung und Anerkennung aus. »Monsieur weiß von meinen Vorlieben?«
»Selbst in Amsterdam«, log John Law, »weiß man, dass der Due de Saint Simon seine Biskuits in warmen Alicantewein tunkt.«
Saint Simon war sichtlich geschmeichelt. Doch dann verzog er das Gesicht zu einer theatralischen Leidensmiene: »Aber ist es nicht furchtbar: Über vierhundert Plünderer sollen gestern erschossen worden sein, schon über dreißigtausend Menschen erfroren, kaum einer hat noch Arbeit, und schon wieder wurde das Geld entwertet. Es ist einfach nichts mehr wert. Und wer etwas kaufen will, um der Entwertung zu entgehen, findet keine Waren! Der König bezahlt seine Entourage bereits mit Tafelsilber, zwei Milliarden Livre Schulden ... Neunzig Millionen kosten die jährlichen Schuldzinsen, aber es sind keine Steuereinnahmen mehr da. Die Menschen sterben da draußen wie die Fliegen, und der Adel erfriert in seinen Schlössern.«
Saint Simon seufzte, als stünde das Jüngste Gericht unmittelbar bevor: »Und jetzt noch die Affäre Homberg, es ist unglaublich. Homberg ...!«
Saint Simon brach abrupt ab, als sei es ihm völlig unmöglich, das Ungeheuerliche über die Lippen zu bringen. Er tunkte ein weiteres Biskuit in seinen Wein und steckte es in den Mund.
»Sie meinen, den Chemiker Homberg? Diesen Deutschen?«, fragte John Law.
»Ja«, flüsterte Saint Simon, »Homberg. Also, er ist Holländer. Und immer war er in der Stadt, wenn es wieder passierte. Und jedes Mal Gast von - Philipp, dem Due d'Orleans.«
»Passierte? Wenn was passierte?«, fragte John Law nach.
»Als damals der Sohn des Königs starb, der Dauphin, als der Enkel des Königs starb, der Due de Bourgogne, und schließlich als der Großenkel des Königs starb, der Due de Bretagne. Innerhalb von drei Jahren. Man sagt, alle drei Thronfolger seien vergiftet worden. Und jedes Mal sei Homberg, der Chemiker, in den Salons des Due d'Orleans zu Gast gewesen. Kann so etwas denn ein Zufall sein?«
Nun sah auch Maitre le Maignen den Schotten an.
»Die Wahrscheinlichkeit der Unwahrscheinlichkeit lässt sich mathematisch berechnen. Aber das Problem ist ein Problem der Wahrnehmung. Wenn 0,01 Prozent der Franzosen an einer sehr seltenen Krankheit sterben, so wären bei einer Bevölkerungszahl von zwanzig Millionen Menschen immerhin zweitausend Menschen betroffen. Die zweitausend Betroffenen würden kaum verstehen, wieso ausgerechnet sie, bei einer Wahrscheinlichkeit von nur 0,01 Prozent, vor dieser Krankheit befallen worden sind. Für die Betroffenen würde es wie ein ungeheurer Zufall aussehen, ein Komplott. Für die Statistik hingegen wäre es nichts Außergewöhnliches. Es gibt aber ein weiteres Problem, nämlich die Gewohnheit des Menschen, Fakten zu kombinieren, Zusammenhänge herzustellen. Unsere Vorfahren waren Jäger und Sammler. Sie haben Spuren gelesen und kombiniert. Ohne diese Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, hätte keiner unserer Vorfahren überlebt. Heute versuchen Chemiker, Physiker, Mathematiker, Ärzte und Ingenieure, Daten, Fakten und Beobachtungen in einen Zusammenhang zu setzen, um daraus neue Erkenntnisse zu ziehen. Nur die Fähigkeit, Zusammenhänge herzustellen, treibt den Menschen voran, treibt die Geschichte voran. Und genau diese angeborene Fähigkeit wird uns in persönlichen Dingen sehr oft zum Verhängnis und verleitet uns dazu, Zusammenhänge zu sehen, wo keine bestehen. Dann verkommt diese Fähigkeit zur Marotte und mündet in Aberglauben, Mystizismus, Sterndeuterei und Religiosität...«
»Aber Monsieur Law«, entfuhr es Saint Simon, »Sie zweifeln an Gott?«
»Ich zweifle nicht an seiner Notwendigkeit, nur an seiner Existenz«, lächelte John Law. »Aber um auf die Geschichte
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