Das Große Spiel
Füße seines Vaters.
»Geizige Menschen sind meist auch gierige Menschen. Deshalb verlieren Sie so viel Geld beim Glücksspiel und beteiligen sich gern an Lotterien.« John schaute nachdenklich zu Catherine hinüber: »Wir müssen gar nichts, Catherine. Wir haben ein Vermögen von über fünfhunderttausend Pfund. Wir sind vermögender als so manches europäische Königshaus.«
»Ich weiß«, entgegnete Catherine, »ein bisschen mehr Geld macht nicht ein bisschen mehr glücklich. Es geht um deinen Traum.«
»Die Unsterblichkeit«, lachte der kleine John.
»John«, begann Catherine, »wir können auch hier bleiben und an einer Erkältung sterben. Aber ich würde ganz gern das Gesicht des Polizeipräfekten sehen, wenn wir in einer sechsspännigen Kutsche nach Paris zurückkehren und uns in einem herrschaftlichen Haus an der Place Louis-le-Grand niederlassen.«
»Du bist für immer meine Frau, Catherine«, lächelte John Law.
»Aber ihr seid doch nicht verheiratet«, sagte der kleine John.
»Ich nicht«, scherzte John Law, »aber deine Mutter schon.« Catherine griff nach einem Kissen und warf es nach John. Er hob das Kissen auf und sagte dann mit ernster Stimme: »Philipp hat uns Einreisepapiere und eine Aufenthaltsgenehmigung geschickt, beide Dokument« tragen das Siegel von Louis XIV. Damit können wir nach Paris zurückkehren. Wir werden in der Rue Saint Honore wohnen, bis wir ein passendes Haus gefunden haben.«
»Und der Krieg?«, fragte der vorlaute Knirps.
»Der Krieg soll bald vorbei sein. Man sagt, die jungen Engländer kämen wieder zum Festlanc rüber und reisten zu Bildungszwecken nach Italien. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Krieg bald zu Ende sein wird.«
Bildungsreisen durch Europa, insbesondere nach Italien, waren eine neue Modeerscheinung. Besonders beliebt waren sie bei jungen Männern aus gutem Hause, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und nun ihren Horizont erweitern wollten.
Doch die Reise, welche die Familie Law im Monat Januar des Jahres 1712 von Amsterdam nach Paris unternahm, sollte mehr als eine Bildungsreise werden. Die Fahrt wurde zu einem Höllenritt in die Abgründe der menschlichen Natur. Sie kamen durch abgefackelte Dörfer und Städte, passierten verweste Kadaver, die an Bäumen hingen, überquerten Flüsse, die derart mit Leichen gefüllt waren, dass das Wasser über die Ufer trat. Der Streit um die spanische Erbfolge hatte die ganze Welt in einen Krieg gestürzt. Ein Weltkrieg, der hunderttausenden Menschen das Leben kostete. Millionen von Menschen wurden in noch tiefere Armut gestürzt, viele vegetierten wie Tiere in Ruinen und Wäldern. Der strenge Winter raffte die Verletzten und Kranken in Windeseile dahin. Die Fahrt von Amsterdam nach Paris veranschaulichte in erschreckender Weise, wie Menschen, die an einem Tag noch friedlich miteinander gelebt hatten, plötzlich zu Besessenen wurden, die sich gegenseitig abschlachteten, wobei es längst nicht mehr genügte, zu töten. Man quälte und folterte, stach sich gegenseitig die Augen aus, schlitzte Schwangeren die Bäuche auf und pflanzte die Ungeborenen an Spießen auf. Mit schier teuflischer Leidenschaft wurden dem Gegner einzelne Gliedmaßen abgehackt, und es war kaum vorstellbar, dass eines Tages wieder Menschen geboren würden, die freundlich und zuvorkommend miteinander verkehren würden. Nein, was sich hier abspielte, raubte einem die letzte Illusion über die Schöpfung Gottes, und es machte jedem, der mit dem Leben davonkam, deutlich, dass die Menschen auch in Zukunft immer und immer wieder zu solchen Taten fähig sein würden. Hier zeigte sich, dass der Mensch selbst in seiner verdorbensten Verirrung kein mordendes Raubtier war, das bei aller Brutalität eine gewisse Genügsamkeit kennt, sondern ein verwirrtes Wesen, das seinen ganzen Verstand dazu verwenden konnte, noch gemeiner, noch brutaler, noch blutrünstiger, noch hemmungsloser, noch maßloser zu quälen und zu schlachten. Der Mensch war und blieb ein Missgeschick der Evolution, eine üble Laune der Natur. Und wenn der Mensch das Ebenbild Gottes sein sollte, dann war Gott der Teufel persönlich.
Die Familie Law hatte Söldner gemietet, die sie eskortierten, aber die Zusammenrottungen von Deserteuren und Hungernden erreichte manchmal Kompaniestärke. Erfahrene Kundschafter waren nötig, um diesen Horden rechtzeitig ausweichen zu können. Selbst Soldaten in Uniform gaben keine Auskunft mehr über die Fahne, der sie sich zugehörig
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