Das Große Spiel
mit dem Tod der drei Thronfolger zurückzukommen. Man muss sich darüber im Klaren sein, dass der Nutznießer einer Sache nicht gezwungenermaßen ihr Urheber sein muss. Das cui bono mag oft zur Lösung eines Rätsels führen, aber nicht immer.«
Eine nachdenkliche Stille war in John Laws Arbeitszimmer eingekehrt. Maitre le Maignen schien das Gehörte zu überdenken. Er war überrascht von John Laws Fähigkeit, selbst bei alltäglichen Ereignissen seine mathematischen Theorien nutzbringend anzuwenden.
»Erzählen Sie das dem Parlament«, entfuhr es Saint Simon. »Wie wollen Sie Gerüchte aufhalten? Einem Hahn können Sie den Kopf abschlagen, aber wie halten Sie ein Gerücht auf?«
»Ist Homberg noch in der Stadt?«, fragte John Law.
»Nein«, antwortete Saint Simon, »aber er lässt sich bestimmt bald wieder blicken. Es gibt keine Orgie in Paris, bei der nicht sein Name fällt. Man sagt, er habe die Angewohnheit, im Rausch die Gäste anzupassen. Es muss fürchterlich sein, und sein Geschlecht soll so groß sein wie das eines Esels. Niemand weiß, was sich der liebe Gott dabei gedacht hat ...«, sinnierte Saint Simon scheinheilig. Es war ihm anzumerken, dass er den Tratsch, die Intrige, die üble Nachrede über alles schätzte.
»Sehen Sie«, lächelte John Law, »jetzt versuchen Sie, einen Zusammenhang herzustellen zwischen dem Geschlechtsteil des Chemikers Homberg und einer bestimmten Absicht Gottes.«
»Gut, Monsieur Law, aber was unternehmen wir jetzt?« Er sprach so aufgeregt, als könne er es kaum erwarten, ein Komplott zu schmieden. »Wir müssen dem Due d'Orleans helfen. Wir dürfen nicht zulassen, dass sein Ruf geschädigt wird. Es könnte ihn die Regentschaft kosten.«
»Sie reden ja, als sei unser Sonnenkönig bereits verschieden«, wunderte sich Maitre le Maignen, »ist er denn so krank?«
»Es ist ein Geheimnis«, flüsterte Saint Simon, »aber sein linkes Bein verfault. Er wird zur Ader gelassen, sie pumpen ihm die Gedärme mit Apfelmost und Eselsmilch voll. Es nützt nichts. Das linke Bein scheint vom Brand befallen, Geschwüre, Furunkel, Schweißabszesse, der König leidet. Er furzt übel riechendes Zeug. Und mit seinen Stummelzähnen kann er kaum noch ...«
»Ich setze auf den Due d'Orleans«, unterbrach ihn der Maitre. »Aber er muss mit diesen verfluchten Orgien endlich aufhören.« Er sah die beiden anderen entschlossen an. Dann wandte er sich an Saint Simon und sagte leise: »Er soll den Bogen nicht überspannen. Wenn auch noch der vierte Thronfolger stirbt...«
»Ein vierjähriger Knirps«, ergänzte Saint Simon mit Blick auf John Law.
»... dann bricht hier die Anarchie aus. Bis zur Volljährigkeit dieses Knirpses kann er Regent sein. Das muss ihm genügen!«
Angelini räusperte sich diskret und flüsterte seinem Herrn etwas zu. Der nickte, und im nächsten Moment hörte man, wie jemand energisch die Treppen hinaufstampfte.
Der Marquis d'Argenson betrat das Arbeitszimmer. Er hatte sich äußerlich kaum verändert. Er trug immer noch seine pechschwarze Allongeperücke und seinen schwarzen Umhang. Aber er zeigte Emotionen. Er bebte vor Wut.
»Monsieur Law! Sind Sie von Sinnen ...«
»Ich dachte, Sie wollen mich in Paris willkommen heißen, Monsieur d'Argenson«, scherzte John Law.
»Was haben Sie sich dabei gedacht, Monsieur, an den Pöbel in den Straßen Brot zu verteilen? Das weckt Bedürfnisse ...«
»Hunger ist kein Bedürfnis, das man wecken muss«, lächelte John Law.
»Sie wecken aber neue Begehrlichkeiten, Monsieur Law. Wollen Sie unser System destabilisieren?«, fauchte d'Argenson.
»Suchen Sie einen Grund, mich erneut auszuweisen, Monsieur?«
»Es ist absolut sinnlos, Monsieur Law, dem Pöbel da draußen auch nur ein einziges Stück Brot zu geben. Morgen hungern die Menschen wieder!«
»Da gebe ich Ihnen Recht, Monsieur«, entgegnete John Law und erhob sich.
»Es steht Ihnen nicht zu, mir, dem obersten Polizeipräfekten von Paris, Recht oder Unrecht zu gewähren, Monsieur. Sie sind ein Ausländer, der den Pöbel gegen den König aufwiegelt.«
»Ich teile Ihre Meinung«, sagte John Law, »ich teile Ihre Meinung, dass es keinen Sinn hat, jemandem ein Stück Brot zu geben, wenn er keine Arbeit hat. Frankreich braucht kein Brot, sondern ein neues Finanzsystem, Monsieur d'Argenson.«
»Sie wollen Frankreich in eine Spielhölle verwandeln, habe ich mir sagen lassen«, rief d'Argenson. »Aber ich verspreche Ihnen, dass unser Finanzminister Desmartes Sie niemals anhören
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