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Das Große Spiel

Das Große Spiel

Titel: Das Große Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claude Cueni
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arbeitete er sich zur Tür, von Platte zu Platte. Bis zur schweren Eichentür. Als er die letzte Platte abklopfte, fiel ihm auf, dass die Tür sich bewegte. Er hob den Kopf und schaute zum Türschloss empor. Die Tür war nicht verschlossen. Sie war einen Spalt offen. Es dauerte eine Weile, bis er bemerkte, dass etwas anders war als sonst: Kein Wächter war erschienen, um geräuschvoll die Zelle wieder zu verschließen. John wartete noch eine Weile, dann erhob er sich und öffnete die Tür, bis der Spalt breit genug war, um das Verlies zu verlassen. Leise schlich er durch den Gang. Nach einer Weile erreichte er einen kleinen Vorraum, in dem eine Wache schlief. John Law hielt den Atem an. Ihm schien, als habe der Schlafende das eine Auge leicht geöffnet. Und im selben Moment wieder geschlossen. Auch war seine Atmung zu unruhig für die eines Schlafenden. Dann sah John den Degen auf dem Tisch. Draußen dämmerte es bereits. Die ersten Vögel begannen zu zwitschern. Die Nacht war vorüber. Im Morgengrauen verließ die Kutsche von Lord Branbury die Allee vor den Toren von King's Bench. In diesem Augenblick durchbrach ein Aufschrei die morgendliche Stille. Lord Branbury hieß den Kutscher, anzuhalten. Er sprang heraus und hielt Ausschau. Eine Gestalt erhob sich aus dem Gestrüpp vor den Mauern des Gefängnisses und humpelte auf sie zu. Der Lord bedeutete seiner Schwester, in der Kutsche zu warten, und lief der Gestalt entgegen. Das musste John Law sein. Der Lord erreichte die mit einer Kapuze vermummte Gestalt, ergriff sie am Arm und wollte sie eiligst zur Kutsche führen. In diesem Augenblick warf die Gestalt den Oberkörper zurück. Die Kapuze rutschte vom Kopf, und Lord Branbury starrte in die unrasierte, zahnlose Fratze eines Säufers.
    Der Lord ließ den Mann los und wich erschrocken zurück. Das war nicht der Mann, den er suchte.
    Aber wo war John Law?
     
    Daniel Defoe riss sich die goldblonde Allongeperücke vom Kopf und schrie: »Sir, sind Sie eigentlich von Sinnen? Man wird Sie hängen! Brauchen Sie denn eine schriftliche Einladung des Königs, um diese Gemäuer zu verlassen? Wir haben Ihrem geringen handwerklichen Geschick Rechnung getragen und Ihnen letzte Nacht die Zellentür geöffnet, wir haben die Wache bestochen ...«
    John Law lehnte mürrisch am Fenster und unterbrach den Schriftsteller: »Die Wache hat nicht geschlafen. Als Kartenspieler kann ich jede Regung in einem Gesicht lesen. Das war eine Falle. Man sucht einen Vorwand, um mich auf der Flucht zu töten.«
    Defoe bückte sich nach seiner teuren Perücke und setzte sie wieder auf: »Sir, Sie bringen den Hof zur Verzweiflung. Wie viele Brücken sollen wir Ihnen noch bauen? Die Wache hatte Anweisung, sich schlafend zu stellen. Die ganze Nacht durch hat sich der arme Kerl schlafend gestellt und wäre dabei beinahe tatsächlich eingeschlafen.«
    John Law schaute Defoe skeptisch an.
    »Die ganze Nacht über hat da draußen eine Kutsche auf Sie gewartet!«
    »Der König will wirklich meine Flucht?«
    »Ihr scharfer Verstand lässt Sie ungeahnte Schlussfolgerungen ziehen, Sir«, grinste Defoe. »Der König kann Sie nicht begnadigen, weil die Familien von Beau Wilson zu mächtig sind. Er will Sie aber auch nicht hängen lassen, weil wir seit Jahrzehnten keine Duellanten mehr hängen.
    Und der Erste am Galgen kann nicht ausgerechnet ein Schotte sein, nachdem Ihr Landsmann Paterson gestern die Bank of England eröffnet hat und Schottland eine Eingliederung in das britische Reich erwägt. Haben Sie mich so weit verstanden, Sir? Der König will Ihre Flucht, und zwar ultimativ heute Nacht!«
    John Law setzte sich auf den Rand seiner Holzpritsche. Defoe reichte ihm eine Zeichnung: »Ein Grundriss des Gebäudes. Ich habe Ihren Fluchtweg eingezeichnet. Sobald Sie den Innenhof erreicht haben, gehen Sie hier nach links zu den Stallungen. Nehmen Sie den mittleren Gang nach hinten. Auf der rechten Seite lagert Pferdegeschirr. Dort führt ein Fenster direkt ins Freie.«
    »Gitterstäbe ...«
    »Die werden zersägt sein, Sir. Sie müssen nur durch das Fenster steigen und hinunterspringen. Im schlimmsten Fall werden Sie sich den Fuß verstauchen. Aber Sie werden überleben. Die Kutsche bringt Sie zum Dock vierundzwanzig.«
    John Law steckte die Zeichnung ein und stand auf. Defoe klaubte umständlich einen Lederbeutel aus der Innentasche seines leuchtend roten Samtmantels und reichte ihn Law. John Law wog den Geldbeutel in der Hand.
    »Eine Münze für jeden Wächter«,

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