Das Große Spiel
ihn ein Geräusch aufhorchen. Er ging darauf zu. Im Schein einer flackernden Laterne feilten zwei Wächter an den Gitterstäben.
»Meine Herren, ich würde nun gern meine abenteuerliche Flucht fortsetzen«, flüsterte John Law.
Die beiden Wachen sahen missmutig zum Schotten und feilten dann weiter.
Zur selben Zeit stand Daniel Defoe vor einer Mauer aus Käfigen, in denen struppige, ungepflegte Zibetkatzen dahinvegetierten. Der Russe Wladimir erbrach den Gin, den er in den letzten Stunden in sich hineingeschüttet hatte, und beendete sein röhrendes Spektakel mit einem animalischen Rülpser. Daniel Defoe nickte mit ernster Miene, erwähnte einen schottischen Bankier, den er noch heute Nacht treffen würde. Jetzt fiel ihm ein, dass es bereits nach Mitternacht war. Defoe rannte sofort zur Kutsche. Der Russe folgte ihm. Der Kutscher war verschwunden. Sie fanden ihn schließlich besoffen in einer Lagerhalle. Er war auf ein Fass Gin gestoßen und hatte es gleich angestochen. Defoe war so wütend, dass er den Kutscher mit Fußtritten traktierte. Doch der konnte sich nicht mehr erheben. Dazu war er wahrlich nicht mehr in der Lage. Der Russe bot sich an, die Kutsche zu fahren. Schließlich saßen der Russe und Defoe auf dem Kutschbock und preschten die Docks entlang.
Unterdessen zwängte sich John Law mit dem Kopf voran durch die Fensteröffnung. Als er mit dem Oberkörper durch war, schien er auf Hüfthöhe festzustecken, die beiden Wächter, die die Stäbe durchgefeilt haben, stießen ihn mit aller Kraft vorwärts. Der eine stieß, und der andere erleichterte Law um seinen Geldbeutel. Endlich glitt John durch die Maueröffnung. Er landete sanft, denn unter dem verwachsenen Gestrüpp hatten die Wächter einige Strohballen ausgelegt. Das war im Preis inbegriffen. Der eine Wächter streckte seinen Kopf aus der Öffnung und wünschte John Law alles Gute. Grinsend zeigte er ihm den Lederbeutel, den er ihm entwendet hatte: »Für das Stroh, Sir. Die Kurierung einer gebrochenen Schulter wäre teurer gewesen.«
John Law verschwendete keinen Gedanken an das Geld. Geduckt lief er, bis er die Allee erreicht hatte, die an King's Bench vorbeiführte. Dann sah er die Kutsche hinter einer Baumgruppe. Er lief hin und wollte schon die Tür öffnen. Doch aus dem Inneren drang ein wohliges Stöhnen.
»Catherine?« Das Stöhnen verstummte abrupt. Die Tür sprang auf: Ein halb nackter, untersetzter Kutscher stieg ins Freie und fauchte John Law an:
»Das geht dich einen Dreck an, was ich hier in meiner Kutsche treibe!« Jetzt sah John Law auch den nackten Knaben im Inneren.
»Ich brauche eine Kutsche«, zischte John Law.
»Du gottverdammter Schotte! Mach, dass du wegkommst! Ich fahre keine Schotten!« Als der Kutscher immer lauter wurde, gab John Law sein Vorhaben auf. Er ließ den Kutscher stehen und begann, die Allee hinunterzulaufen.
Als die Achse von Defoes Kutsche brach, flog der Russe in hohem Bogen auf die Straße hinunter und prallte mit dem Kopf gegen einen Baum. Defoe konnte sich gerade noch festhalten. Die Holzlehne brach. Die Kutsche kippte zur Seite. Der Schriftsteller wurde auf den Boden geschleudert. Dann war es still. Nur noch das nervöse Schnauben der Pferde. Irgendwo in der Ferne hörte man einen Nachtwächter rufen. Seine Stimme klang krank und elend. In der Ferne gellende Pfiffe. Plötzlich lösten sich finstere Gestalten in zerzausten Lumpenmänteln aus der Dunkelheit und stürmten aus allen Richtungen auf die umgestürzte Kutsche zu. Die Kerle sahen aus wie vermummte Pestkranke. Sie schrien und fluchten unverständliches Zeug. Sie schwangen Holzlatten und Eisenstangen. Lange Mähnen mit verfilzten Barten, riesige Augen in dunklen Höhlen. Das ganze Elend des nächtlichen Londons schien sich darin zu spiegeln. Die einen verprügelten den bewusstlosen Russen, zerrten ihm Schuhe und Kleider vom Leib, die anderen stürzten sich auf Daniel Defoe, der jammernd die Straße hinunterhumpelte. Es war hoffnungslos. Auch dort, wo soeben noch die Umrisse eines Baumes erkennbar gewesen waren, lösten sich lumpige Gestalten aus der Dunkelheit und versperrten ihm den Weg. Schützend hielt er die Hand vors Gesicht und schrie: »Ich bin Daniel Defoe, der Dichter.«
»Halt's Maul«, fauchte der eine und schlug Defoe eine Eisenstange in die Kniekehle. Defoe brach zusammen. Ein Knie traf ihn mitten ins Gesicht, ein Hieb in den Nacken, ein Tritt in die Magengrube. Jemand zerrte an seinen Schuhen, ein anderer riss ihm seinen
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