Das Große Spiel
Chamberlen, dass Ihnen die Leute die Bögen förmlich aus den Händen reißen. Einen Satz hätten Sie bereits verkauft.«
Agnes Campbell lächelte. Im Nachhinein freute sie sich darüber, dass ihr Neffe sie besucht hatte. Anfangs hatte sein Erscheinen sie beunruhigt, denn der Ruf, der ihm vorauseilte, war tatsächlich nicht der beste.
»Wir könnten hier noch mehr anbauen, John«, versuchte sie ein Thema anzuschneiden, das sie seit dem Tod ihres Mannes sehr beschäftigte. »Mein Mann wollte ursprünglich noch eine Buchbinderei und eine Buchhandlung aufbauen. Aber für mich ist es zu viel, John. Ich bin eine alte Frau. Und die Welt befindet sich in einem wilden Galopp. Ich kann da nicht mehr mithalten. Die Buchhandlungen wollen die Druckbögen nicht mehr selbst binden. Wir sollen fertige Bücher liefern. Würden meine Söhne noch leben, John, könnten sie die Druckerei in das neue Zeitalter führen.«
Sie schaute prüfend zu John Law hinauf.
»Die Leute werden immer mehr lesen, Tante Agnes, ob sie dadurch immer klüger werden, steht hingegen noch nicht fest.«
»Ja, ja«, murmelte Campbell. Sie war enttäuscht, dass John auf ihren Köder, ins Druckereigeschäft einzusteigen, nicht angesprungen war.
John Law hob lächelnd Chamberlens geschnürte Papierrolle hoch: »Wahrscheinlich ist Ihnen schon aufgefallen, dass ich Chamberlen nicht sonderlich mag. Er nervt mich mit seinem Doktortitel. Ich habe meinen Doktor an den Spieltischen Europas gemacht.«
Dann beugte sich John Law zu seiner Tante Campbell hinunter, umarmte sie liebevoll und küsste sie auf beide Wangen. »Glaubt mir, Tante Agnes«, flüsterte John Law, »ich wäre kein würdiger Nachfolger von Andrew Anderson. Ich will nicht Bücher drucken und verlegen, die sich andere Menschen in einem Hinterzimmer ausdenken. Ich habe eine Idee, und ich will sie umsetzen. Und dafür brauche ich keine Druckerschwärze, sondern einen König und eine ganze Nation.«
»Ach, John, wieso setzt du dir nicht Ziele, die du erreichen kannst? Wie andere Leute auch.«
John Laws Flugblatt wurde bereits am späten Nachmittag des darauf folgenden Tages in den Edinburgher Kaffeehäusern verteilt und sofort heftig diskutiert. Ein Flugblatt war etwas Besonderes. Es war aktuell, brisant, ein Originaltext aus erster Hand. Überall in der Stadt hatten die Leute beinahe zur gleichen Zeit die gleiche Information. Vom Schuhputzer bis zum Bankier interessierte sich jeder für ein neu verteiltes Flugblatt. Traf in einem Kaffeehaus ein neues Flugblatt ein, herrschte für einen Moment Totenstille. Und im nächsten Moment gingen die Debatten los.
An jenem Nachmittag debattierte man über die Thesen eines namentlich nicht genannten Mannes, der dem Parlament einen Vorschlag unterbreiten wollte, um die Nation mit Geld zu versorgen. Der Unbekannte wollte Geld aus Papier drucken. Und das Parlament sollte garantieren, dass man gegen Vorweisung dieser Papierstücke tatsächlich die angegebene Summe in Münzen zurückerstattet bekam. Das allein war nicht so neu. Das Neue an seinem Vorschlag war, dass man auch mit Papiergeld bezahlen können sollte, das noch gar nicht existierte. Mit Geld, das nicht da war. Mit Krediten. Mit Papiergeld, das auf einer Leistung basierte, die in der Zukunft erst noch erbracht werden musste. So glaubte der anonyme Flugblattverfasser die darbende schottischeWirtschaft wieder in Gang bringen zu können. Noch nie zuvor hatte jemand die Idee gehabt, Geld für ein Bier zu bezahlen, das noch gar nicht gebraut worden war.
Es war schon spät, als John Law die letzten Seiten des Buches von Hugh Chamberlen durchgelesen hatte.
»Und?«, fragte Catherine, als sie bemerkte, dass John den letzten Druckbogen beiseite legte. Sie saß in einem Sofa neben dem Kamin und las den Reisebericht eines Engländers, der die Gebiete in der Neuen Welt bereist hatte.
»Er schreibt geistreich«, antwortete John Law nachdenklich, »aber was er schreibt, ist nicht neu. Er schreibt über Dinge, die in Amsterdam bereits vor vielen Jahren diskutiert worden sind. Aber er gebiert nichts Neues.«
Catherine schmunzelte. John Law sah sie fragend an. Er ging zu ihr hinüber, kniete nieder und küsste ihre Hände. »Wieso lächelst du so in dich hinein, meine liebe Catherine?«
»Weil du sagst, dass er nichts gebiert. Kann ein Mann denn gebären?«
»Ideen kann er gebären«, lachte John Law leise.
Catherine nahm John Laws Hand und legte sie auf ihren Bauch. John Law nahm Catherine zärtlich in
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