Das gruene Gewissen
die Auswirkungen von Kohlendioxid auf die Atmosphäre thematisiert werden, steht die Kohleförderung unter einem schlechten Stern. Fukushima verdrängte diese Kritik insofern, als eine andere Bedrohung die Oberhand gewann und die Gefahr des Klimawandels überdeckte. In den Gazetten machte der Satz die Runde, die Kohle sei der heimliche Gewinner von Fukushima. Doch nicht nur das Aus für die Kernkraft in Deutschland hatte zur positiven Entwicklung der Kohle beigetragen, sondern auch der Energiehunger und die Erschließung neuer Förderstätten weltweit.
Die Braunkohle ist heute in Deutschland der wichtigste heimische Energieträger mit Grundlastqualitäten, wofür zwei Zahlen genügen mögen: Ihr Anteil am gesamten Energieverbrauch macht gegenwärtig rund 12 Prozent aus, beim Strom sind es 25 Prozent, also jede vierte in Deutschland verbrauchte Kilowattstunde. 176 Millionen Tonnen Braunkohle wurden 2011 insgesamt gefördert. 57
Ungeachtet der intensiveren Nutzung erneuerbarer Energiequellen werden die Bagger wie hier in Welzow weiter tonnenweise Abraum heben, werden neue Kohlekraftwerke nicht nur in China,das heute bereits über die meisten Windkraftanlagen weltweit verfügt, sondern auch in Deutschland bis Mitte des Jahrhunderts ans Netz gehen müssen. Auch wenn Gas als eine wichtige grundlastfähige Energiequelle betrachtet wird, die die Schwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen soll, wird an der Kohle kein Weg vorbeiführen. Der Grund dafür liegt im Vorhandensein von Kohle nicht weniger als im bestehenden Strommarkt und seinen Anreizsystemen: Kein Energieversorger investiert wie beim Gas in neue milliardenschwere Anlagen, die dann nur zum Ausgleich der per Gesetz vorrangig eingespeisten Wind- und Sonnenkraft gebraucht werden. Dabei stünde Gas durch die Exploration großer Vorkommen außerhalb Deutschlands, etwa in den USA, für viele Jahre zur Verfügung.
Der Begriff der Energiewende, der einen unfreiwilligen Anklang an das Jahr 1989 hat, ist deshalb fragwürdig, weil er einen radikalen Wandel in den zentralen Prämissen der Energieversorgung insinuiert und eben mehr als die Kernenergie meint. So weist es das Energiekonzept aus, das die Bundesregierung bereits vor Fukushima vorgelegt hat. Danach sollen die Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Basisjahr 1990 um 40 Prozent reduziert werden, bis zur Mitte des Jahrhunderts sogar um bis zu 95 Prozent.
Wenn man den Blick weg vom Strom richtet, der neben dem Mobilitäts- und Gebäudesektor lediglich ein Drittel unseres Energiebedarfs ausmacht, sieht man, warum dies so ambitioniert ist: Der überwiegende Teil, nämlich vier Fünftel, wird heute durch kohlenstoffhaltige Energiequellen gedeckt und noch lange gedeckt werden. Lediglich der Rest verteilt sich zu gleichen Teilen auf Kernkraft und erneuerbare Energiequellen. 58
Das bekannte Ziel der Bundesregierung ist es, bis zum Ausstieg aus der Kernenergie im Jahr 2022 ein Drittel unseres Stroms aus erneuerbaren Energiequellen zu generieren. Heute sind es 25 Prozent, die aus Windenergie, Biomasse und Photovoltaik kommen, wobei dieser Wert die installierte Kapazität, nicht die tatsächlicheLeistung des ins Netz eingespeisten Stroms beziffert. Eine solche Zahl fiele geringer aus.
Die Gretchenfrage ist zudem, wie wir die restlichen drei Viertel gewinnen werden. Sie ist nicht allein eine technische Frage und eine der Energieeffizienz, sondern auch eine naturphilosophische. Denn erstmals in der Geschichte der modernen Energieversorgung wird nicht die Nachfrage die Menge der zur Verfügung stehenden Energie bestimmen, sondern die Natur und was sie uns zu geben bereit ist. Das Synchronisieren von Energienachfrage und fluktuierenden Energiequellen: Es ist das trotz aller Überlegungen zu „intelligenten“ Netzen und Speichermöglichkeiten bis heute ungelöste Problem auch der Energiewende.
Risiko
Ich habe mich nie intensiver als notwendig mit den technischen Abläufen der Stromerzeugung befasst. Und doch empfinde ich wie viele Menschen seit jeher eine Faszination für dieses Thema, weil sich Natur und Technik hier ganz unmittelbar berühren. Im Wort „Energieversorgung“ steckt das Wort „Sorgen“, Kümmern, die Erwartung, die wir implizit an andere artikulieren – und deshalb gereizt reagieren, wenn etwas aus dem Ruder zu laufen droht. Blackouts und Preisanstiege berühren unser Risikoempfinden nicht minder als der Gedanke an Havarien, weil sie uns verdeutlichen, dass wir Dritten
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