Das gruene Gewissen
der kanadischen Ekati-Mine, das die Gruben wie Meteoriteneinschläge aussehen lässt, die mit Straßen für tonnenschwere Lastkraftwagen verbunden sind. Alles ist weiß und wirkt dadurch friedlich. So wie auch Bilder von Kriegsschauplätzen des Zweiten Weltkriegs mit den Gesichtern erfrorener Leichen oder Pferden, die mit Schnee bedeckt sind, wirken, als sei jeder Schmerz aus ihnen gewichen. Oder die großflächigen Fotografien des kanadischen Künstlers Edward Burtynsky, der die Rohstoffkreisläufe zwischen Natur und Mensch durch stillgelegte Ölfelder, gigantische Müllhalden von Autoreifen und Friedhöfe alter Flugzeuge der US Air Force auf bizarre Weise ästhetisiert und zugleich den Albtraum der ungebremsten fossilen Rohstoffnutzung dokumentiert.
So kann auch das Bild der Ekati-Mine eine gewisse Anmut nicht unterdrücken. Sie entsteht im Auge des Betrachters und ist von fast architektonischer Schönheit. Denn das, was man sieht, erinnert an ein antikes Amphitheater: Wie auf der Innenseite eines auf dem Kopf stehenden Kegels winden sich die immer kleiner werdenden Bahnen zum Grund der Mine. So, als seien sie nicht gemacht, damit Kipper die Bahnen hinunterfahren, sondern damit Menschen auf den Rängen sitzen können, um das Geschehen beobachten zu können.
Hier kommt zum Tragen, dass die Natur ihre ästhetische Faszination auch dann behalten kann, wenn sie bereits tiefgreifenden Veränderungen unterliegt. Es gibt keine Zwangsläufigkeit, dassuns allein das anspricht, was wir mit einer unveränderten Natur assoziieren. Die Veränderung der Natur kann wie am täglich erfahrenen Beispiel von Stadtparks und Grünanlagen ohne Auswirkung auf unseren Sinn bleiben. Bei ihnen handelt es sich nicht mehr um „Natur“, doch solange uns das Schöne anspricht, ist es egal, ob es natürlichen Ursprungs ist. Wir können geradezu blind dafür werden, den Grad der Veränderung zu erkennen: bis zur Zerstörung. Nur eine zerstörbare Natur kann – so paradox es erscheinen mag – zugleich etwas auslösen in uns. Denn ihre sichtbare Veränderung erst ermöglicht es uns, dass wir uns anders als zum theoretischen und objektivierbaren Naturbegriff der Naturwissenschaften in ein sehr persönliches Verhältnis zu ihr setzen: dass wir sie direkt auf uns und unsere Lebensweise beziehen. 56
Auch wer sich dem Tagebau Welzow Süd nähert, hat zunächst den Eindruck einer Mondlandschaft. Abraumbagger werfen die Erde auf wie der kleine Maulwurf mit seinem Handspaten aus den Lieblingstrickfilmen meines Sohnes. Ich blickte lange auf diese unwirkliche Gegend, in der jede Form von Ursprung verloren gegangen war. Aber was war das, Ursprung? Etwas Neues war entstanden und an dessen Stelle getreten, das mir gefiel.
Die Abraumschicht, die sich farblich unterschied, trug eine Schneedecke. Sie sah damit aus wie der Zuckerguss eines Kuchenstücks, das sich vor mir auftürmte. Ich konnte es erst durch die Technik und den Eingriff in die Landschaft so sehen: eine Landschaft, die den Hintergrund für den Videodreh einer kalifornischen Deathmetal-Band abgeben könnte. Glencore, Xstrata oder Anglo American: Schon die Namen großer Minen- und Rohstoffkonzerne, die auch als Label auf turmhohen Bass-Verstärkern prangen könnten, klingen nach einer brachialen Kraft, mit der die Erde bewegt wird.
Von den Fördermengen solcher Konzerne ist man in der Lausitz weit entfernt. Zwanzig Millionen Tonnen Kohle werden in Welzow Süd im Jahr gefördert und ins nahe gelegene Kraftwerk Schwarze Pumpe transportiert. Ebenso viel geht in das benachbarte Kraftwerk Boxberg, einstmals eines der größten Kraftwerke der DDR, das mehr Energie als die Muskelkraft der gesamten Bevölkerung des Landes lieferte. Heute wird hier Strom für mehrere Millionen Haushalte produziert.
Schwarze Pumpe gehört zum schwedischen Energieriesen Vattenfall. Nach der Wende, nachdem Unternehmen wie Rheinbraun da waren, hatten die Schweden im Zuge der Marktliberalisierung den Großteil der ostdeutschen Energieversorgung übernommen, der eigentlich nur einen Energieträger kannte: Kohle. Die Leute in der Gegend erzählten sich den Witz, dass es den Schweden trotz der List der Dorfbewohner von 1626, die Pumpe mit schwarzer Farbe anzumalen, um die plündernde und brandschatzende Soldateska abzuschrecken, am Ende doch noch gelungen sei, den wehrhaften Ort einzunehmen.
Weit vor den Ereignissen im Frühjahr 2011 gab es in der Öffentlichkeit Auseinandersetzungen über diesen und andere Standorte. Seit
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