Das gruene Gewissen
„natürliche“ Technik, auch weil sie keines der klassischen technischen Attribute Lärm, Schmutz und Geruch aufweist. Als dezentrale Technik produziert sie lokal, dort, wo ihr Produkt gebraucht wird. Glauben wir zumindest.
Erneuerbar ist nicht gleich dezentral
Tatsächlich verrät ein genauerer Blick auf die Erneuerbaren, dass wir es hier mit einer handfesten Romantisierung zu tun haben. Was einmal ein Nischenprodukt war, das staatliche Unterstützung in Gestalt einer fest vergüteten Umlage durch das Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) brauchte, hat sich zu einer Technologie ausgewachsen, die mittlerweile fast ein Viertel des deutschen Strombedarfs deckt.
Jede der großen neuen Anlagen in Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg ist selbstredend keine dezentrale Anlage mehr – genau wie die Tausenden neuer Solarmodule, die auf Stallungen süddeutscher Bauern montiert wurden und werden. Denn der Strom, den sie produzieren, wird längst nicht mehr am Ort der Erzeugung genutzt, sondern nicht anders als der eines großen Kohle-Erzeugers in das Netz eingespeist und Hunderte von Kilometern weit zu den Verbrauchern geschickt. Gemessen daran ist ein Gaskraftwerk in Nordrhein-Westfalen, das die Schwankungen der Erneuerbaren vor Ort ausgleicht, die „dezentralere“ Anlage.
Diese Tendenz wird manifest werden, wenn die Offshore-Windparks in der Nordsee eines Tages wirklich die Industriezentren des Südens versorgen. Als Faustregel gilt, dass der Süden auch in Zukunft kleinteiliger organisiert sein wird als der Norden: Im Norden gibt es viermal so viel installierte Windkraftkapazität wie im Süden, im Süden dafür viermal mehr Solarkraft als im Norden. Zudem kann der bildliche „See“ des deutschen Stromnetzes schon heute jederzeit überschwappen: Wenn die Natur es will, ist bereits heute deutlich mehr Ökostrom da, als es das Stromnetz aushält. Er wird dann gegen die Zahlung eines Aufschlags ins Ausland verkauft, damit er überhaupt abgenommen wird, oder man schaltet Windkraftanlagen ab, zahlt aber trotzdem dafür.
Die Frage der Zentralität oder Dezentralität, die in Deutschland sehr emotional und wie eine Staatsangelegenheit diskutiertwird, hat also längst nichts mehr mit der Stromart zu tun: Dezentral ist nicht gleichbedeutend mit erneuerbar. Und erneuerbar meint nicht effizient und schonend angesichts der Lebenszyklusbetrachtung von Produkten, die in der Herstellung überaus energieintensiv sind.
Die Kritik am EEG ist insbesondere im Zusammenhang mit der Solarenergie lauter geworden in der vergangenen Zeit, und doch ist dieses Gesetz in der Welt. Und mit ihm die Begehrlichkeiten seiner vielen Nutznießer, sei es ein Großinvestor oder ein privater Haus- oder Scheunendachbesitzer. Die Ironie des EEG will es dabei, dass die Ausgaben für alle Verbraucher in dem Moment steigen, in dem die Sonne scheint und mehr Solarstrom als sonst ins Netz eingespeist wird, auch wenn genügend da ist. Denn der Preis pro Kilowattstunde orientiert sich nicht an Angebot und Nachfrage, sondern ist festgesetzt – auf zwanzig Jahre. Der Börsenpreis für Strom fällt indes, je mehr Strom zur Verfügung steht. Gleichzeitig wächst der Betrag der zu zahlenden Einspeisevergütungen, die garantiert sind. Dies lässt die Differenzkosten – die sogenannte EEG-Umlage – nach oben schnellen. Im vergangenen Jahr um fünfzig Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 60 Ungeachtet dessen wird weiter fleißig zugebaut, ob der Strom gebraucht wird oder nicht.
Das Beispiel der Erneuerbaren und der Widerstände gegen ein aus dem Ruder gelaufenes EEG eignet sich mustergültig zur Entkräftung jenes Mythos, dass es vor allem um Natur und eine kohlenstoffarme Stromproduktion ginge. Es geht tatsächlich nicht anders als bei der Verteidigung abgeschriebener Kernkraftwerke durch die großen Energieversorger vor und nach 2011 oder bei Genmaisfeldern transnationaler Saatgutkonzerne im Kleinen um monetäre Dinge, um Renditen, die am Kapitalmarkt heute nicht mehr zu erzielen sind, für die man die Natur und die Zukunftsverantwortlichkeit in Dienst nimmt.
Deutschland beheimatet trotz ungünstiger „natürlicher“ Voraussetzungen von unter eintausend Sonnenstunden pro Jahr heutemit mehr als einer Million Anlagen die Hälfte aller weltweit installierten Photovoltaikanlagen, die – das wissen auch die Apodikten des grünen Stroms – mittlerweile außerhalb Deutschlands gefertigt werden und abgesehen von Installationsbetrieben nicht der heimischen Industrie
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