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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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ausgeliefert sind. Dies ist eine entscheidende Note unseres Blicks auf das Thema Energieversorgung.
    Energiepolitik kann als Wirtschaftspolitik oder als Umweltpolitik betrieben werden, wobei Anhänger der zweiten immer behaupten würden, auch die erste mit im Auge zu haben. Tatsächlich kommt noch eine dritte, vielleicht entscheidende Komponente hinzu, die mit Akzeptanz quer zu den beiden anderen Politikfeldern zu tun hat: die gegenwärtige Debatte um die Ersetzung einer „zentralen“ durch eine stärker „dezentrale“ Energieversorgung. Sieist dazu angetan, einige Charakteristika aufzuzeigen, die für unsere Wahrnehmung der Technik im Ganzen gelten.
    Unsere Risikowahrnehmung hängt stark davon ab, inwieweit wir selbst die Risiken steuern oder ihnen ausgeliefert sind. Nichts, dies weiß man auch aus der Glücksforschung und der Arbeitsmedizin, betrifft uns im negativen Sinne mehr als das Gefühl der Fremdbestimmtheit, und sei diese objektiv betrachtet auch zu unserem Besseren. 59 Auf die Technik gemünzt heißt das, dass uns jene technischen Risiken wie das Fahrradfahren inmitten der Großstadt, von denen statistisch hohe Gefahren ausgehen, wesentlich beherrschbarer erscheinen als Situationen, in denen wir das Gefühl haben, ausgeliefert zu sein. Viele Menschen dürften sich vor einem Flugzeugabsturz deutlich stärker ängstigen als vor einem Autounfall auf dem Weg zur Arbeit. Die Wissenschaft spricht hierbei von einem „Nahhorizont“, den wir gegenüber fremdbestimmten Risiken immer favorisieren, weil wir ihn selbst wählen.
    Aus der individuell so angenommenen Beherrschbarkeit von Risiken folgt eine ungleich höhere Akzeptanz „kleiner“ Technikeinheiten gegenüber diffusen, weil unübersichtlichen Gefahrenpotenzialen. Die Akzeptabilität einer Technologie ist darum weniger an ihre konkreten Auswirkungen geknüpft als an unser Bild dieser Technik. Gerade weil unser heutiges Naturbild uneingeschränkt die Vorstellung einer guten Natur transportiert, hat auch der Grad der gefühlten Entfremdung von der Natur Auswirkungen auf unser Technikbild: Das Technische birgt per se Risiken, da es im Widerspruch zu einer als stabil und harmonisch interpretierten Natur steht. Und wenn diese Risiken nicht in Form von Unfällen zutage treten, dann wirken sie sich unterbewusst auf eine intakte Seele und gesunde Körperlichkeit des Menschen aus – eine Art Unheilsteleologie, wie sie dem Widerstand gegen Blackberrys und andere Informationsträger als Dauerstressverursacher etwa in der Literatur der Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel zugrunde liegt.
    In Deutschland dominiert seit langem eine Technikwahrnehmung, die sich durch eine besondere Verbindung von Technik und Machtempfinden auszeichnet. Hinter diesem abstrakten Wort steckt der in den zwanziger Jahren erstmals breit nachweisbare Gedanke, dass die Technik von einem Hilfsmedium zu einem Selbstzweck aufgerückt sei, der die Menschen unfrei mache. Aus gutem Grund ist die Großtechnik in Deutschland seit 1945 anders als in westlichen Industriestaaten, namentlich den USA, Israel, Frankreich oder Schweden, nie „Staatstechnik“ gewesen, wie man am Energiesektor zeigen kann, sondern immer in der Hand von privaten Unternehmen. Und doch ist der Reflex derselbe: Technik wird in Deutschland abgelehnt, wenn sie gepaart mit Konzerninteressen als „Großkomplex“ daherkommt, der die Macht- und Fremdbestimmungskomponente gewissermaßen ideologisch überhöht. Unter anderem aus diesem Grund funktioniert die Solarenergie von Privatiers und kleinen Stadtwerken in Deutschland bislang so gut, während selbst Windkraftanlagen großer Energieversorger mit demselben Stigma zu kämpfen haben wie die gentechnischen Versuchsflächen von Agrar-Konzernen wie Monsanto: weil das Dezentrale per se vertrauenswürdig erscheint. Small is beautiful .
    In kaum einem anderen Land ist die semantische Kluft zwischen „künstlich“ und „natürlich“ darum so emotional aufgeladen wie in Deutschland. Je näher eine Technik dem Pol „Natur“ zugeordnet wird, beispielsweise die Photovoltaik, umso emphatischer wird sie ungeachtet aller ökonomischen Nachteile und technischen Ungereimtheiten begrüßt. Je weiter eine Technologie sich von diesem Pol entfernt, je stärker sie die Natur auf den Kopf stellt, wie es die Kernspaltung tut, oder sich unseren Blicken komplett entzieht, desto mehr ist sie Ressentiments ausgesetzt. Bei der Photovoltaik handelt es sich in den Augen vieler Menschen um eine

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