Das gruene Gewissen
im nennenswerten Maßstab zugute kommen. Hinzu kommt, dass die Zusammensetzung des Strompreises, der zur Hälfte aus politisch motivierten Abgaben wie der EEG-Umlage pro Kilowattstunde, der Öko-Steuer und jener für Kraft-Wärme-Kopplung besteht, den wenigsten Deutschen bekannt ist – oder aus dem Eindruck heraus, diesen ohnehin nicht beeinflussen zu können, kaum Interesse erweckt. 61
Trotz aller Emotionalität, die Themenbereiche wie Energie und Landwirtschaft auch vor diesem Hintergrund begleitet, wird die Gesellschaft angesichts des nicht mehr homöopathischen, sondern industriemäßigen Umbaus des Agrar- und Energiesystems eine Antwort darauf finden müssen, wie sie ihre Sympathien verteilt. Wird sie weiter von dezentralen Lösungen träumen, wenngleich die Effektivität großer Anlagen sowohl in der Landwirtschaft als auch in der Energiewirtschaft aufgrund höherer physikalischer Wirkungsgrade quasi naturgesetzmäßig die größere ist? 62
Die großen Offshore-Projekte in Nord- und Ostsee, die maßgeblich für die auch von staatlicher Seite prognostizierten Zuwachsraten im Stromsektor verantwortlich sein werden, sind in der Hand der großen Energieversorger oder entsprechender Konsortien. Niemand anders kann trotz des ambitionierten Engagements einiger Stadtwerke entsprechende Investitionen tätigen. Und selbst die Eigenmittel der großen EVU reichen angesichts der notwendigen Kapazitäten im Milliardenbereich nicht aus: Um das entsprechende Fremdkapital bei Anlegern zu akquirieren, sind Renditen unerlässlich. Auch aus diesem Grund wird die Energiezukunft wie jede Zukunft vor ihr auch von ökonomischen Interessen geleitet sein, was sich nicht zuletzt an der allgemeinen Begeisterung für die Photovoltaik ablesen lässt. Ob „Baltic I“, „Baltic II“, „Alpha Ventus“, „Amrumbank“ oder „Nordsee Ost“: Die Gesichter der alten werden im Verbund mit anderen, etwa Stadtwerken, auch die der neuen Energiewelt sein.
Indes gewinnen Konzepte von Autarkie und Selbstversorgung Oberwasser, nicht zuletzt auch deshalb, weil es noch immer einen Zusammenhang zwischen lokaler Stromproduktion und Industrieansiedlung gibt. Das haben auch jene Bundesländer erkannt, die bis 2022 nukleare Kraftwerkskapazitäten verlieren. Die „16 Energiewenden“, wie sie der Vorsitzende der Deutschen Energie-Agentur, Stephan Kohler, ausmacht und kritisiert – die vielen parallelen Lösungen auf Länderebene, die nicht ineinandergreifen –, sind zugleich Ausdruck eines tief verwurzelten Glaubens: daran, dass kleinteilige Lösungen besser sind, auch weil sie Gewinne für Länder und Kommunen versprechen. Von Wüstenstromprojekten wie Desertec ist kaum noch die Rede.
Tatsächlich befinden wir uns längst in einem europäischen Strommarkt. Autonomiegedanken sind einer sich weiter vernetzenden Energie-Welt nicht mehr zuträglich. Und gerade Gas, auf das die Befürworter der Erneuerbaren so viel Hoffnung setzen, bedeutet das Gegenteil von Autarkie. Deutschland ist hier abhängiger als bei jeder anderen Energiequelle, zumal einige Versorger an Langzeitverträge mit Russland gebunden waren und das „Fracking“ heimischer Gasvorräte – also das Einpressen eines Gemisches aus Wasser, Sand und Chemikalien in tiefes Gestein, um Risse zu erzeugen – von der Bevölkerung ebenso abgelehnt wird wie die Kohle- oder Kernkraft.
Ohne Zweifel: Die Energieversorgung wird auch in Deutschland vielschichtiger und dezentraler werden. Aber es wäre naiv zu glauben, dass sich alles in diese Richtung entwickelt. Dezentral wird die Energie- und Wasserversorgung vor allem in jenen Teilen der Welt sein, in denen keine intakten Strukturen und Versorgungsnetze wie bei uns existieren. Genau das war einmal die Idee, als man in den neunziger Jahren begann, Solarzellen herzustellen: Man wollte helfen, Menschen in Afrika oder Asien zu versorgen, die ansonsten keine Chance auf Strom und warmes Wasser haben.Für die Entwicklungs- und Schwellenländer, wo die Sonne häufiger scheint als bei uns, wird die Solarenergie aufgrund des Preisverfalls der Technik zu einer wichtigen Technologie ganz ohne staatliche Subventionen werden und die Lebensverhältnisse vielleicht nicht revolutionieren, aber verbessern.
Wenn Klima- und Naturschutz kollidieren
Der Rationalität von Begriffen wie „Grundlast“, „Netzausbau“, „Speichertechnik“ und „Dekarbonisierung“ zum Trotz reagieren die Menschen beim Thema Energie so emotional, weil sich die große Frage des
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