Das gruene Gewissen
Betriebe Lacke und Farben .Darunter waren die Endprodukte der Schwedter Raffinerie zu sehen: Benzin, Petroleum, Gasol, Schmieröl, Bitumen. Es war die Zeit der zweiten industriellen Revolution, und die Sprache ist hier wie an vielen anderen Stellen seiner säurestichigen Manuskripte ganz vom Geist der fünfziger Jahre durchdrungen.
Die Absolutheit, mit der auch er den Aufbruch bejaht hatte, verschwand spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Umweltfolgen der hemmungslosen Industrialisierung in der DDR offenbar wurden. Die Kohle ebenso wie die Chemie standen im Zentrum des Konflikts, der sich neben der Lausitz vor allem auf die Region Bitterfeld – Halle – Merseburg erstreckte. Dies änderte auch Tschernobyl nicht, das sich trotz aller Bemühungen nicht verschweigen ließ. Die Kohle, vielleicht die Chemie, nicht das Uran, wurden zum ökologischen Totengräber der DDR. Wenn es etwas gibt, das zum Symbol für die Fassaden ostdeutscher Städte wurde, ist es dieses Braungrau, das allgegenwärtig war. Auch auf unserem Hinterhof im Barnstorfer Weg, wo rostige Mülltonnen für Asche standen.
Unter „demokratischer Umgestaltung“ verstand man in den Wendemonaten folgerichtig auch die der ökologischen Verhältnisse. Die sich neu gründende Partei Demokratischer Aufbruch forderte in ihrem Aufruf vom 2. Oktober 1989 denn auch, „endlich die Wahrheit [zu] erfahren über das Ausmaß der Schädigung des Wassers, des Bodens und der Luft. Wir alle müssen lernen, unsere Wirtschaft und unsere Bedürfnisse dem Schutz der Umwelt unterzuordnen.“ 54 Von Kernkraft war da, nur drei Jahre nach Tschernobyl, kein Wort.
Die Umweltbewegung im Osten konnte anders als in der Bundesrepublik nie das tun, was man retrospektiv als die größte Leistung der Partei der Grünen ansehen muss: Fragezeichen hinter Formen des Lebens und Wirtschaftens setzen, die die Politik als alternativlos bezeichnete. Umweltschutzpositionen waren geächtet und hatten in der offiziellen Rhetorik keinen Platz: Sie hätten die mangelnde Innovationskraft der Wirtschaft aufs Tapet gebracht, die auf Kosten der Natur ging. Und doch meldeten sich nicht nur im Umfeld der Kirchen oder in unserem Schülerkreis „Junge Ornithologen“ Stimmen zu Wort, die mit der Umweltzerstörung in der DDR hart ins Gericht gingen. Sie wurden ermutigt durch das, was sie im Fernsehen an Signalen aus dem Westen empfingen. Auch im Osten war die Zeit reif für eine grüne Bewegung. Jeder, der die Region Bitterfeld einmal besucht hat, wusste das.
Einer der Kritiker war der Vater eines Schulfreundes. Er arbeitete bei Minol, der Öl- und Kraftstoffagentur der DDR, die nach der Wende an Elf Aquitaine verkauft wurde, und war ein beflissener Techniker. Aber er zweifelte an der Richtigkeit eines Wirtschaftspfades, der Kohle, Öl und Gas in immer größeren Mengen brauchte und hemmungslos die Umwelt verpestete. Er erzählte uns von den Leuna-Werken, der wichtigsten Raffinerie des Landes, von der Pipeline und den Tanklagern im Wald. Eines davon lag auch in unserer Gegend. Inmitten einer Landschaft, in der es sonst nur Kolchose gab, wie er sagte.
Und doch kamen solche Mahnungen nur sporadisch durch. Obwohl die DDR bereits seit Beginn der siebziger Jahre ein Umweltministerium besaß, führte es eine Phantomexistenz. Die Gleichgültigkeit oder Machtlosigkeit gegenüber den Umweltsünden scheint im Nachhinein noch größer gewesen zu sein als damals angenommen. 55 Die Rekultivierungen der gigantischen Braunkohletagebaue der Lausitz, mit denen man in der DDR begann, waren da Lichtblick und Ausnahme.
Die Erde im Winter
Wenn wir an Natur denken, denken wir an Landschaften ohne menschliche Spuren. Auch gänzlich unfrommen Menschen ist der Gedanke nicht fremd, dass nur der ursprüngliche Zustand von Ebenen, Wäldern, Bergen und Gewässern wirklich der Natur entspricht. Der Anblick von Tagebauen hinterlässt darum ein Gefühlder Ratlosigkeit, wie viele dieser Löcher es bereits geben mag und wie viele hinzukommen werden, um den Rohstoffbedarf zu stillen. Es ist ein Gefühl der Schuld: dass hier ein ohne den Menschen entstandenes Gefüge durch menschliche Bedürfnisse zerstört wird. Denn Tagebaue sind unnatürliche Krater, die von Eingriffen zeugen. Wie Einschüsse oder kreisrunde Einstiche in die Skin of the Earth . So haben Wissenschaftler den Boden getauft, eine, vielleicht die wichtigste Ressource der kommenden Jahre.
Begeben wir uns für einen Moment von der Lausitz an den Polarkreis. Es gibt ein Foto
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