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Das gruene Gewissen

Das gruene Gewissen

Titel: Das gruene Gewissen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Moeller
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den neu zu entdeckenden Ursprung der Menschheit gesehen wurde. Dieses Natursprachkonzept der Romantiker hat bis ins 20. Jahrhundert hinein gewirkt und Aufnahme etwa in die rationalismuskritischen Strömungen am Vorabend des „Dritten Reiches“ gefunden.
    Auch das Wachstum der anorganischen Natur, ihre Wandelbarkeit schienen auf eine verborgene Kraft hinter den Dingen zu deuten. Wie kaum ein zweiter romantischer Dichter hat Novalis, der an der noch heute bestehenden Bergakademie Freiberg Bergwerkskunde und Naturwissenschaften studierte, die Symbiose aus Dichtung und Bergwissenschaft, etwa die Verbesserung des Salinenwesens, verkörpert. Er ging bei einem Professor für „Geognosie“ in die Schule und setzte ihm und dem Bergbau vor allem in zwei romantischen Romanen, dem Heinrich von Ofterdingen (1802) und den Fragment gebliebenen Lehrlingen zu Sais (1798–99) ein Denkmal. Allenthalben ist dort von Mineralien und Metallen die Rede, die als Blumen des Berginneren erscheinen. Der organische Wachstumsbegriff wird von Pflanzen gezielt auf die Gesteine erweitert. „Das Gestein lebte auf, die Fossile regten sich“, heißt es in E.T.A. Hoffmanns Die Bergwerke zu Falun : „der wunderbare Pyrosmarlith, der Almandin blitzten im Schein der Grubenlichter.“ 109 Alles, nur keine Assoziationen mit Blumen und anderen schönen Dingen würde man heute wohl mit dem Gedanken an Tagebaue und Schächte erwarten.
    Die hier zitierte Geschichte von Hoffmann bediente sich dabei eines historischen Ereignisses aus dem Jahr 1719. Damals hatte man die Leiche eines gut fünfzig Jahre zuvor verunglückten Bergmanns in den Kupfertagebauen von Falun in Schweden gefunden – der damals zweitgrößten schwedischen Stadt, die den Reichtum Schwedens im 17. Jahrhundert begründete. Die im Entstehen begriffene Naturwissenschaft war von dem Fall fasziniert, da die Leiche des Mannes so gut wie unversehrt geblieben und nicht verwest war. Der Berg, in den der Mensch hinabstieg, war für die Romantiker deshalb auch ein Sinnbild der unsterblichen Seele, die Suche nach dem Verdrängten und Verschütteten, das die Literatur weit vor der Entstehung der Psychologie in einer Art Traumdeutung freilegen wollte.
    Es ist kein Zufall, dass der romantische Naturgelehrte Gotthilf Heinrich Schubert, Verfasser der Schrift Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808), wie Goethe nicht nur Dichter und Naturforscher, sondern auch Arzt und Pädagoge war. Der Bergbau war für die Romantiker dabei immer auch eine bewusste Konfrontation mit dem Abgrund: Wer sich in den Berg hineinbegab, lief Gefahr, darin umzukommen. In Heinrich Heines späterem Versepos Die Harzreise (1826), die das Erzähler-Ich bei Clausthal ebenfalls ganz tief unter Tage in den Schacht „Karolina“ führt, wird derer gedacht, die von den steilen Leitern in die Tiefe gestürzt waren und sich das Genick und sämtliche Knochen gebrochen hatten. Natur: Das bedeutete Risiko, in das man sich bewusst hineinbegab – nicht Harmonie und Gesundheitsversprechen.
    Zugleich ist auch bei Heine von einer besonderen Beziehung zwischen den Menschen und den belebten und unbelebten Naturerscheinungen die Rede, die mit ihnen zu sprechen scheinen: Der Erzähler beobachtet ein Kind, das durch den Wald läuft und spielend mit Vögeln und Bäumen kommuniziert; eine Fähigkeit, die man nicht zufällig allein Kindern zuschrieb, weil diese im Naturbild des 19. Jahrhunderts noch nicht erzogen und zivilisiert waren, sprich: sich noch in einem natürlichen Zustand befanden. Er besucht am Ende eine Bergmannsfamilie und sieht eine steinalte Frau, die am Ofen sitzt. Märchen und Sagen öffnen das Fenster in eine frühere Zeit, die noch von einer Sprache aller Dinge geprägt ist. Zumindest in diesem Punkt steht der Spötter Heine mit einem Fuß in der Romantik.
    Die seinerzeit erblühte Idee einer Lesbarkeit der Welt anhand ihrer natürlichen Zeichen ist weitaus älter und verweist auf ein göttliches Schöpfungsverständnis der Natur. Seit der Mystik des Mittelalters, mit Schriften wie De signatura rerum von Jakob Böhme, gibt es die Vorstellung einer gleichermaßen vorhandenen Beseelung von Erzen, Salzkristallen und Edelmetallen, die sich wie Adern durch den Organismus der Felsen verbreitet haben. Auch sie gehen auf denselben Schöpfergott zurück, der der Natur seine Sprache eingehaucht hat: die geheime Signatur der Dinge, die der Mensch entschlüsseln muss. Böhme, der sowohl in der deutschen literarischen

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