Das gruene Gewissen
man die gegenwärtige Technik automatisch in einen Zusammenhang mit der Jetztzeit und ihren noch unbewältigten Problemlagen setzt. Damals war eben alles irgendwie besser, auch die Technik.
Immer geht es also auch um das eigene Ich und eine gedankliche Brücke zur Natur, die von einer historischen Technik nichts mehr zu befürchten hat, zumal diese hinsichtlich ihrer Möglichkeiten, die Natur zu zerstören, noch als begrenzt angesehen wird. „Der Traum“, schreibt Sennett mit Blick auf den gegenwärtigen Eindruck einer Entfremdung und Entwurzelung, im „Gleichgewicht mit der Welt zu leben, verleitet uns meines Erachtens, den Ausweg in einer Idealisierung der Natur zu suchen, statt uns der von uns selbst herbeigeführten Selbstzerstörung zu stellen.“ 103
Ein entsprechender Diskurs ist gerade in Deutschland kein Novum, sondern gehört von Anfang an zur Begleitmusik sowohl konservativer als auch linker Technikkritik. Dabei wird die Einmaligkeit des Handwerklichen in eine gedankliche Übereinstimmung mit den individuellen Schöpfungen der Natur gebracht. „Jeder, der ein Erzeugnis des alten Handwerks in Händen hält, eine Kassette, einen Schlüssel, empfindet an diesen Gegenständen etwas Organisches, wie es den Schöpfungen der Natur eignet. Das Werk ist genau gearbeitet, aber nicht mathematisch. Es ist […] ein Stück Menschennatur. Die Maschine kann dergleichen nicht schaffen.“
Diese Sätze stammen von dem Industriellen und ehemaligen Reichsaußenminister der Weimarer Republik Walther Rathenau, der 1922 Opfer eines politischen Attentats der rechtsgerichteten Organisation Consul wurde. Vier Jahre zuvor hatte er seine Schrift Zur Kritik der Zeit im S. Fischer Verlag veröffentlicht. Er traf damit ins Herz einer durch den Ersten Weltkrieg traumatisierten Nation. Und doch widmet sich seine Kritik Fragen, die seit der Entstehung der Industriegesellschaft diskutiert wurden: Die „Mechanisierung“ (damals gleichbedeutend mit dem, was wir Automatisierung oder Massenproduktion nennen würden) und ihreAuswirkungen auf das Bewusstsein der Menschen als hervorstechende Merkmale der Zeit nehmen dabei übergreifenden Platz ein. Auch in früheren Jahrhunderten sei die Arbeit, sei die Produktion die Hauptaufgabe menschlichen Tuns gewesen, schreibt Rathenau, immerhin Sohn des Firmengründers der AEG und als Großindustrieller gleichermaßen Absolvent geisteswissenschaftlicher wie ingenieurwissenschaftlicher Studienfächer. Die Entfesselung der Mechanik habe jedoch jede Schranke niedergeworfen: „Die mechanisierte Produktion hat sich zum Selbstzweck erhoben.“ 104
Das Krisenempfinden wird in Deutschland in dieser Zeit ganz augenscheinlich in einen Zusammenhang mit der Entstehung der Industrialisierung und dem Siegeszug der Automatisierung gestellt. Der Soziologie Georg Simmel bemerkte in Die Krisis der Kultur aus dem Jahr 1916 so explizit wie wohl noch niemand vor ihm, dass die Technik ein ungeheures Wachstum erfahren habe, an dessen Ende – so die etwas sperrigen Worte – sich das einstige Instrument zwischen das Subjekt und den Zweck seiner Verwendung schiebe und diesen zu überdecken beginne. 105 Das Werkzeug Technik sei zum Selbstzweck geworden, zu einem autonomen Selbst, das den Benutzer in den Bann seiner Gesetzmäßigkeiten hineinzwinge.
Simmels Kritik leuchtet auch im Lichte heutiger Erfahrungen mit Alltagstechnik ein. Sie geht aber tiefer und zielt auf die Behandlung des Technischen in Deutschland im 20. Jahrhundert, die in der Wissenschafts- und Technikkritik „als Ideologie“ mündet, wie eine Festschrift von Jürgen Habermas aus dem Jahr 1968 überschrieben ist. Dieser Blick auf das Technische wurde mit der Zeit abgelöst von einem, der nicht mehr die Technik selbst zur Zielscheibe nahm, sondern die jeweilige Instrumentalisierung mit ihren ökonomischen Interessen. Und doch gibt es bis in die Gegenwart Beispiele für den Selbstzweck von Alltagstechnik, etwa die beständigen Schein-Innovationen im Handy- oder Softwarebereich. Hier schlägt die Stunde der Natur und – als einerVorstufe auf der Leiter hinab zu ihr – die des Handwerks und der manufakturgleichen Technik.
Historische Vorläufer des Bilds von der guten, einfachen Technik
Verbleiben wir noch einen Augenblick bei jenen Annahmen über das Wesen der Technik, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts geboren wurden: bei der Entfremdung menschlicher Arbeit, ihrer Austauschbarkeit durch die Maschine und der Machtkomponente moderner Technik. Gerade
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